erschienen
in: Hartwich, Hans-Hermann und Göttrik Wewer (Hrsg.)
Systemsteuerung und/oder
Staatskunst? Reihe: Regieren in der Bundesrepublik, Bd. III, Opladen:
Leske&Budrich,
1991, Seite 151 - 173
Regierung und Verwaltung als Organisatoren gesellschaftlicher
Interessen [*]
Roland
Czada
1. Fragestellung
Daß
Interessenorganisationen
von Landwirtschaft und Gewerbe meist auf Gründungsinitiativen des
Staates
zurückgehen, ist für Historiker ein oft registriertes Detail.
Beamte
der Agrarverwaltung haben in den meisten deutschen Staaten an der
Gründung
und Führung landwirtschaftlicher Vereine mitgewirkt. "Die Bauern
stellten
... anfangs nur einen sehr kleinen Prozentsatz der Mitglieder" (Ullmann
1988; 35). Maßgeblich für die personelle, organisatorische
und finanzielle
Förderung des landwirtschaftlichen Vereinswesens war seine
Bedeutung für
die staatliche Agrarpolitik. "In ihrem Rahmen fielen den Vereinen
wichtige
Aufgaben zu, denen die Verwaltungen entweder überhaupt nicht oder
nur
mit unverhältnismäßig hohem Aufwand nachkommen konnten"
(ebenda; 61).Politikwissenschaftliche
Theorien erklären im Gegensatz dazu den Ursprung von
Interessenorganisationen
meist aus einem selbstorganisatorischen Gründungsakt oder auch nur
als
zwangsläufige Folge gesellschaftlicher Interessendifferenzierung.
Die
Virulenz sozialer und ökonomischer Konflikte ist für sie
Ausgangspunkt
der Verbandsbildung - und staatsgerichtete Einflußpolitik ihr
Zweck. Der
Anteil des Staates an der Organisation gesellschaftlicher Interessen
erscheint
demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Dieser "blinde Fleck"
der
Politikwissenschaft kann vermutlich selbst nur politisch, aus
bestimmten
Erkenntnisinteressen, erklärt werden. Für marxistische, an
Bewegungsgesetzen
des Kapitals und Klassenkämpfen orientierte Analysen ist die
gesellschaftliche
Konfliktdynamik stets Ausgangspunkt politischer Entwicklung gewesen.
Gleiches
gilt für die einflußtheoretische Schule des
Gruppenpluralismus. Selbst
die ältere konservative deutsche Staatsrechtslehre unterscheidet
sich
in diesem Punkt nicht grundlegend von ihren marxistischen oder
pluralismustheoretischen
Gegenentwürfen. Sozialer Gruppendruck ist auch eine Prämisse
ihrer überlegungen.
Die wesentlichen Unterschiede sind normativer Art: Worin die
Staatsrechtslehre
eine existentielle Bedrohung des im Staat aufgehobenen allgemeinen
Willens
fürchtet, begreift die Pluralismustheorie das "mutual adjustment"
der
mit gleichen Durchsetzungschancen ausgestatteten Gruppeninteressen als
Innovationsmotor der Politik.Die folgenden überlegungen und
Fallskizzen
sind ein Versuch, sich aus der binären Logik des
einflußtheoretischen
Argumentes zu befreien. Dabei lautet die empirische Frage, ob es sich
bei
der staatlich angeleiteten Verbandsbildung im Agrarsektor um ein
historisches
Detail handelt, oder ob die staatlich initiierte und
instrumentalisierte
Organisation gesellschaftlicher Interessen auch heute noch zum
Repertoire
staatlicher Intervention gehört. Zunächst sollen aber der
theoretische
Ort und die politikwissenschaftliche Bedeutung dieser Fragestellung
weiter
umrissen werden.
2. Theorie: Netzwerke von Staat und Gesellschaft
Die Betonung
des
Gegensatzes von staatlicher Souveränität und
gesellschaftlichem Gruppeneinfluß
hat die staats- und politiktheoretische Forschung so nachhaltig und
holzschnittartig
geprägt, daß die Feinheiten von
Staat-Gesellschaftsbeziehungen häufig
nur verzerrt wahrgenommen werden können. Man gelangt dann leicht
zur Vorstellung
einer einfachen Kräftemechanik, in der Staat und Gesellschaft in
Relationen
von stark/schwach, schwach/stark oder als ausgeglichenes
Kräfteverhältnis
erscheinen (etwa C. Schmitt 1958, Katzenstein 1987, Fach/Simonis 1987,
Atkinson/Coleman 1989). Dieser Kombinatorik liegt die überlegung
zugrunde,
daß Autonomiegewinne der einen Seite notwendig mit
Autonomieverlusten
("Capture", Gefangennahme) der anderen verknüpft sind. Damit
werden Autonomie
und Capture als Endstationen eines Verteilungskonfliktes um Einfluß
begriffen. Diese Sichtweise findet sich oft dort, wo die
Sphärentrennung
von Staat und Gesellschaft besonders hervorgehoben wird (vgl. etwa
Blanke/Jürgens/Kastendiek
1975, Ronge 1980, Seibel 1990;210) [1].Gängige
Beschreibungen der Beziehung von Staat und Gesellschaft - Pluralismus,
Capture, Klientelismus, Korporatismus - täuschen leicht
darüber hinweg,
daß Autonomie und Abhängigkeit nicht als Alternativen zu
begreifen sind,
die sich gegenseitig ausschließen. Autonomie ist keineswegs
gleichbedeutend
mit Unabhängigkeit (das wäre Autarkie). Autonom ist vielmehr,
wer die
in sozialen Beziehungen immer vorhandene Abhängigkeit zum eigenen
Vorteil
nutzen kann. Selbst zwei voneinander abhängige Akteure können
autonom
sein, wenn ihre freiwillig eingegangene Beziehung gegenseitige
Interessenbefriedigung
ermöglicht! Ein starker, autonomer Staat bedeutet insofern nicht
notwendig
eine schwache, von staatlicher Direktive abhängige Gesellschaft.
Ebensowenig
folgt aus starker gesellschaftlicher Interessenorganisation automatisch
eine Schwächung des Staates. Autonom ist, wer zu strategischer
Interaktion
befähigt ist. Eine Taxonomie von Staats-Gesellschaftsbeziehungen,
die
nicht als strategische Akteurskonstellation darstellbar ist, kann diese
Einsicht nur schwer vermitteln.Die funktionalistische und
systemtheoretische
Heuristik beschreibt das Verhältnis von Staat und Gesellschaft als
ein
Problem der Ausdifferenzierung. Soziale Differenzierung ist jedoch nie
total und zieht meist neue soziale Verknüpfungen nach sich. Die
funktionalistische
Systemtheorie kann das, was auf Differenzierung folgt - den
"Brückenbau"
zwischen Teilsystemen - nur unzureichend erfassen. Sie erlaubt deshalb
nur einen oberflächlichen Einblick in die vielfältigen, zum
Teil hochspezialisierten
Netzwerke von Staat und Gesellschaft. Weiter führt ein Ansatz, der
die
Beziehungen von staatlichen Ressorts und gesellschaftlichen
Organisationen
als strategische Interaktion begreift [2].
Autonomie wird dann gleichbedeutend mit Strategiefähigkeit. Die
strategischen
Möglichkeiten unterschiedlichen Umgangs mit Abhängigkeit und
damit Wege
zur Steigerung von Autonomie hat Scharpf (1972, 1987, 1991) am Beispiel
der Wirtschaftspolitik und mit Hilfe der Spieltheorie überzeugend
dargelegt
(vgl. auch Braun 1988). In diesem Kontext können Macht oder
Einfluß nur
eine - zudem sehr direkte und oft begrenzte - Möglichkeit
autonomen
Handelns eröffnen. Andere Faktoren, die Strategiefähigkeit
bestimmen,
treten ins Blickfeld: Unsicherheit, Wissen, Tauschmöglichkeiten,
Regeln,
Transaktionskosten, ja selbst die "Gunst der Stunde", ein Zeitfaktor
also,
welcher die genannten Faktoren in kontingenter Weise beeinflusst. Zwar
kann Macht Unsicherheit oder Transaktionshemmnisse kompensieren, aber
nur
unter Hinnahme von Kosten, wie sie durch Realitätsverlust, hohen
Kontrollaufwand
und Effizienzeinbußen häufig im Gefolge von
Machtausübung entstehen.Interessanterweise
findet sich der Gegensatz von staatlicher Souveränität, bzw.
Regierbarkeit
und gesellschaftlichem Gruppeneinflußes auch in neueren
ökonomischen
Theorien der Interessenvermittlung (Olson 1982, Becker 1982) sowie in
den
"capture"-Theorien der Chicago-Schule der Regulation (Stigler 1971).
Auch
in diesen, der ökonomischen Neoklassik verpflichteten
Ansätzen folgen
die Beziehungen von Regierung und Interessengruppen einer einfachen
Kräftemechanik.
ähnliche Vorstellungen bestimmen Teile der Debatte um die
Steuerungsfähigkeit
moderner Industriegesellschaften ebenso die neuere staats- und
institutionentheoretische
Diskussion (Rueschemeyer/Evans/Skocpol 1985). Ich möchte im
folgenden
anhand von Beispielen die Grenzen dieser Erklärungsansätze
illustrieren
und sodann einige "Grenzüberschreitungen" wagen. Hier gibt es
grundsätzlich
zwei Wege: eine systemtheoretische überwindung der
Staat-Gesellschafts
Differenzierung, wie sie etwa von Wilke und Luhmann geboten wird, oder
ein Ansatz der von strategischen Optionen und Interaktionsmustern
staatlicher
und gesellschaftlicher Akteure ausgeht. Ich möchte mich auf die
letztere
Variante konzentrieren und beziehe mich konzeptionell auf neuere
Arbeiten
von Fritz W. Scharpf (1988, 1989, 1991) und Gerhard Lehmbruch (1987,
1991).In
kurzen Fallskizzen soll gezeigt werden, daß die bundesdeutschen
Windkraft-
und Solarinteressen unter Mithilfe des Bundeswirtschaftsministeriums
organisiert
wurden, so wie es vordem schon mit den Nuklearinteressen der Fall war.
Gerade in der Forschungs- und Industriepolitik sind gesellschaftliche
Organisationsstrukturen
und politisches Handeln meist nicht durch einen klaren Gegensatz,
sondern
durch überlappende Interessen geprägt. Zu den
überlappungen von Interessen
hinzu kommen Handlungsrisiken bzw. Unsicherheiten und
Interaktionsprobleme
zwischen staatlichen Ressorts und gesellschaftlichen Organisationen.
Damit
ist nicht nur der Handlungskonsens, sondern schon die
Präferenzbildung
der einzelnen Teilnehmer derart erschweren, daß von einem
vorgängigen
klar erkennbaren Interesse nicht mehr ausgegangen werden kann. Im
Prozess
der Organisationsbildung führt diese Konstellation häufig zu
staatliche
Vorgaben und Initiativen. Sie dienen der Präferenzbildung und
Organisation
bisher unverbundener Interessen und fungieren häufig als ein
Moment sozialer
öffnung, in deren Verlauf neue Teilnehmer auftreten und Diskurse
erweitert
werden. [3]
So haben staatliche Ressorts die sogenannte Atomlobby gegenüber
den Kohleinteressen
ebenso ins Spiel gebracht, wie Jahrzehnte später die alternativen
Energieproduzenten
und Belange des Umweltschutzes (Müller 1986). Bei näherem
Hinsehen zeigt
sich so anstelle der sozial geschlossenen, monopolistischen Struktur
der
Politikentwicklung ein Prozess, dessen Verlauf von widerstreitenden
Strategien
der öffnung und Schließung sozialer Netzwerke auf der
Elitenebene bestimmt
wird.Strategien der öffnung und Schließung finden sich
vielfach in der
Sozial- und Gesundheitspolitik (vgl. Czada/Lehmbruch 1990). Hier sollen
sie am Fall der schweizer Aids-Politik illustriert werden. Sie wird vom
eidgenössischen Gesundheitsamt finanziert und kontrolliert, aber
von einem
privaten, auf freiwilliger Mitgliedschaft basierenden Aids-Hilfe-Verein
konzipiert und implementiert. Diese Praxis kann, gemessen an den
eingriffsintensiven,
geradezu drakonischen Traditionen der Seuchenpolitik als sozial offen,
liberal und demokratisch bezeichnet werden. Sie ist jedoch keineswegs
Ergebnis
höherer demokratischer Gesinnung im Staat, sondern die Folge
strategischen
selbstinteressierten Handelns. Insgesamt stellen die folgenden
empirischen
Skizzen einen Versuch dar, Politik als strategisches Wahlhandeln zu
verstehen.
Die Interaktion staatlicher und gesellschaftlicher Akteure soll aus
deren
Präferenzen, institutionellen Rahmenbedingungen und strategischen
Ressourcen
erklärt werden.
3. Kernenergiepolitik [4]
In den
fünfziger
Jahren war die Bereitschaft der Elektrizitätswirtschaft in die
Kernenergie
zu investieren gering. Sowohl in den USA mit ihrem überangebot an
billiger
Energie aus Kohle und öl als auch in der Bundesrepublik mit
starken Kohleinteressen,
waren die EVUs nicht oder nur sehr zögernd bereit, Vorleistungen
in der
Forschung und Entwicklung zu erbringen oder gar Kernkraftwerke zu
ordern
(für die USA: Campbell 1986, 1988, für die Bundesrepublik:
Radkau 1983:117,
120f.). In der Bundesrepublik waren gerade Mitte der fünfziger
Jahre erhebliche
Bergbauinvestitionen getätigt worden, die einen Einstieg in die
Kernenergiewirtschaft,
etwa des Stromriesen RWE, erst für eine ferne Zukunft realistisch
erscheinen
ließen. In den USA gab es Zweifel an der Wirtschaftlichkeit und
technischen
Beherrschbarkeit der Kernenergie. Die Administration mußte mit
der Errichtung
von fünf staatseigenen Kernkraftwerken, also einer
Teilverstaatlichung
der Elektrizitätswirtschaft drohen, um wenigstens einige
Kraftwerksbestellungen
zu erreichen. Dabei war eine Atomeuphorie in der Bevölkerung
durchaus
vorhanden, die von der Regierung, teils mit Hilfe von Organisationen
der
Herstellerfirmen, bewußt unterstützt wurde [5].In
den USA betrieb die "Atomic Energy Commission", der auch die
militärische
Nutzung und die aus dem "Manhattan Project" hervorgegangenen "National
Laboratories" unterstellt waren, in den fünfziger Jahren eine
umfassende
Interessenorganisation der Kernenergiewirtschaft. Vor allem die Nuclear
Navy war an einem kostengünstigen Bezug von Kernreaktoren
interessiert
und hatte über die National Laboratories bereits enge Beziehungen
zu den
Herstellerfirmen aufgebaut. Das im AEC, der Nuclear Navy, und dem
zuständigen
Kongreßausschuß (Joint Commitee of Atomic Energy, JCAE)
konzentrierte
Interesse des Staates an einem Ausbau der zivilen Kernenergiewirtschaft
ist durch die Bildung einer an die National Laboratories angebundenen "clan-struktur"
verbreitert und schließlich durchgesetzt worden. Ausgangspunkt
waren zahlreiche
auf staatliche Initiative, oft mit öffentlichen Mitteln
veranstaltete
Kongresse, Symposien, Kommissionen etc., welche als Brückenköpfe
fungieren und so die staatliche Politik in die relevanten Kreise der
Gesellschaft
hineintragen sollten.Die lose "clan-struktur" der um die
"National
Laboratories", das "Atomic Industrial Forum" und die "Nuclear Navy"
angesiedelten
amerikanischen Nuklearinteressen blieb bis zum Ende der siebziger Jahre
bestimmend. Nachem bereits Mitte dieses Jahrzehnts die staatliche
Zuständigkeitsstruktur
vollständig reformiert worden war (v.a. 1975 Auflösung des
als zu mächtig
empfundenen JCAE, übertragung der zivilen Atomaufsicht auf die
neugeschaffene
"Nuclear Energy Commission), folgte ab 1979 eine vollständige
Neuordnung
der Interessenvertretungsstruktur, die, lange vorausgeplant, durch die
Kernschmelzen von Three Mile Island (TMI) und Tschernobyl noch
beschleunigt
wurde.Der Aufbau der neuen Vertretungsstruktur, insbesondere des
"Institute
of Nuclear Power Operations" (INPO), wurde in einem soziales Netzwerk
konzipiert
und ausgeführt, das von der Nuclear Navy geknüpft worden war
und sich
personell auf deren kommandierenden Admiral Hyman Rickover
konzentrierte.
Ihn bestellte sein früherer Seekadett, der spätere
Präsident Carter
1979 zum Berater in Kernkraftfragen. Gleichzeitig hatte Rickover einen
200 000 Dollar-Beratervertrag mit der TMI-Betreibergesellschaft
"Metropolitan
Edison". Er unterhielt auch Kontakte zu frühereren Mitarbeitern
der elitären
Rickover-Group [6],
die aus der Navy in die Vorstandetagen der Kraftwerksbetreiber
übergewechselt
waren. Außerdem hatte der charismatische Admiral [7]
als Gründer und Ausbilder an der "Oak-Ridge-Schule für
Kraftwerkspersonal",
die dem gleichnahmigen "National Laboratory" angegliedert war, ein
Netzwerk
der ehemaligen Lehrgangsteilnehmer aufgebaut, das in alle wichtigen
Betreiberunternehmen
hineinreichte. Aus seiner Schule und aus der Nuclear Navy sollte sich
personell
die neue, stark ausdifferenzierte Verbandsstruktur des Nuklearsektors
speisen.
Ende der achtziger Jahre waren sowohl der State Secretary im Department
of Energy , Watkins als auch der Sprecher der Nuclear
Regulatory
Commission , Carr, Admirale der Navy. Die Abteilungsleiter der
neuen,
auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden Verbände oder besser
"überwachungsvereine"
(Institute of Nuclear Power Operations und Nuclear Management and
Resources
Council), entstammten meist ebenfalls der Nuclear Navy. Der Staat hatte
damit zum Aufbau eines in der öffentlichkeit als
Selbstorganisation gefeierten
privaten Netzwerkes der Sicherheitsregulierung beigetragen.INPO ist
eine
"Regulierungsorganisation" der Regulierten. Sie erhebt umfangreiche
Betriebs-
und Sicherheitsdaten ihrer Mitgliedsfirmen, die aufbereitet und
über eine
Datenbank on-line den Mitgliedern verfügbar gemacht werden [8].
INPO hat einen eigenen Performanzindikator für Atomkraftwerke
entwickelt,
der Sicherheit und Effektivität der Anlagen umfasst. Die
Organisation
vermeidet den engen Kontakt mit der NRC, insbesondere in Fragen von
Regulierungsstandards
und ihrer Veränderung. Sie möchte sich vor ihren Mitgliedern
nicht dem
Verdacht auszusetzen, auf diese Weise indirekt zu einer
Verschärfung der
staatlichen Regulierung beizutragen. Als Organisationssitz wurde
deshalb
nicht Washington, sondern Atlanta, Georgia, gewählt.Es bedurfte
eines
Gesetzes und der Zustimmung der Versicherungswirtschaft, um INPO auf
eine
solide Organisationsbasis zu stellen. Zunächst, anfangs der 80er
Jahre,
war es nur "a very shaky enterprise" (Interview: Miro Todorovich).
Insbesondere
kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Herstellerindustrie und
Kraftwerksbetreibern
in Fragen der sicherheitstechnischen Nachrüstung von
Kernkraftwerken.
Erst die Novellierung des Price-Anderson Acts 1985, die es den
Versicherern
von Nuklearanlagen erlaubte in Abstimmung mit der staatlichen
Risikoabdeckung
eine Rabattstaffel für die Versicherungsprämien der Betreiber
einzuführen,
brachte für INPO den Erfolg. Die Organisation gibt seitdem ihre
Sicherheitsratings
einzelner Kraftwerke (Skala von 1 bis 5) an die Versicherer weiter und
entscheidet damit über die Eingruppierung in
"Störfallfreiheitsklassen".
Es gibt demnach einen starken, auf staatlicher Gesetzgebung basierenden
Anreiz für die einzelnen Betreiber, die Selbstregulierung durch
die INPO
nicht zu konterkarieren oder gar aus INPO auszutreten. Gleichzeitig
machte
der Price-Anderson Act INPO und die staatliche Regulierungsbehörde
NRC
zu Komplizen; es entstand eine Art "Sicherheitspartnerschaft".Trotz der
prekären Interessenkonstellation werden zwischen INPO und NRC
zunehmend
Informationen über den Sicherheitsstand einzelner Kraftwerke
ausgetauscht,
"um einen weiteren Unfall zu vermeiden" (Tom Price, NUMARC). Dies
führte
freilich zu einer Schließung der ansonsten
außerordentlich offenen
US-Regulierungspraxis. Durch Gerichtsentscheid nach einer Klage der
"Union
of Concerned Scientists" (UCS) auf Herausgabe der INPO-Erhebungen ist
die
NRC von der nach dem "Atomic Energy Act" und dem "Freedom of
Information
Act" gebotenen Veröffentlichung aller Konstruktions- und
Prüfungsunterlagen
von zivilen Nuklearanlagen im Falle der vertraulichen
übermittlungen durch
INPO nicht nur freigestellt; es ist ihr sogar untersagt, dieses
"Privateigentum"
an die öffentlichkeit weiterzugeben. Damit ist Industrie und
Regulierungsbehörde
- unintendiert(!?) - ein erheblicher Strategievorteil in der
Auseinandersetzung
mit Nuklearkritikern zugefallen. Es läßt sich zum Ende der
achtziger
Jahre ein wachsendes Vertrauensverhältnis zwischen NRC und den
Betreibern
feststellen, das sich auch in weiteren Organisationsänderungen
niederschlug
(siehe Details zu dieser Entwicklung: Czada 1990). Insgesamt kann von
einer
autonomen Selbstorganisation der unmittelbar betroffenen Interessen,
auch
wenn es nach außen so scheinen mag, keine Rede sein.
4. Aids Politik
Wenn
Regierungen
und staatliche Verwaltungen - wozu, wie wir sahen, in den USA die
Militärbürokratie
zu zählen ist - verbandliche Interessenorganisation für ihre
Zwecke nutzen,
stellt sich die Frage, in welchen Politikfeldern und Aufgabenbereichen
dies typischerweise geschieht. Die Vermutung liegt nahe, daß es
um bestimmte
Probleme und Aufgaben geht, deren Bearbeitung staatlicher Politik und
Verwaltung
verschlossen bleiben. So kann die Instrumentalisierung des Deutschen
Atomforums
für propagandistische Zwecke der Regierung darauf
zurückgeführt werden,
daß im Konfliktfall, etwa zwischen öffentlichen
Gebietskörperschaften,
diese nicht jeweils direkt, etwa durch öffentlichen Aufruf, die
Unterstützung
gesellschaftlicher Gruppen suchen können (siehe Fußnote 1).
Die Auslagerung
einer Informations- und Kommunikationsfunktion auf gesellschaftliche
Gruppen
bildet einen der häufigsten Anlässe für die
Instrumentalisierung von
Verbänden. Abteilungsleiter in Ministerien berichten etwa,
daß Fachverbände
gelegentlich telefonisch auf Aktivitäten der Regierung hingewiesen
und
gebeten werden, diese ihrerseits durch die Abhaltung einer
Pressekonferenz
zu unterstützen.Eine subtile, in Ursachen und Wirkungen über
die Konsensmobilisierung
oder auch nur legitimatorische Absicherung für Regierungspolitik
weit
hinausgehende Einbindung von gesellschaftlicher Interessenorganisation
findet sich in der schweizer Aids-Politik. Der gesamtschweizerische
"Aids-Hilfe-Verein"
ist aufgrund von institutionellen Eigenheiten des schweizer
Regierungssystems,
insbesondere des durch kantonale Zuständigkeiten fragmentierten
Gesundheitssystems,
zum Träger der wichtigsten Maßnahmen dieser Politik
geworden.Die Schweiz
gehört zu den Vorreitern einer aktiven und umfassenden
Aids-Politik. Als
Land mit extrem fragentierter Struktur der Gesundheitsverwaltung
müßte
sie eigentlich zu den Nachzüglern der Aids-Prävention
gehören (vgl.
Czada/Czada-Friedrich 1990). Die Erklärung ihrer Vorreiterrolle
liegt
in den proporzdemokratisch-korporativen Traditionen eines Systems,
dessen
Administration koevolutiv zu gesellschaftlicher Selbstorganisation
historisch
entstanden ist [9],
und dessen politische Entfaltungsspielräume in allen
Politikbereichen
stark von gesellschaftlicher Selbstorganisation bestimmt sind. So
beantragte
das eidgenössische Gesundsheitsamt unmittelbar nach der
Gründung eine
Mitgliedschaft in dem privat initiierten schweizer Aids-Hilfe Verein.
Nach
anfänglicher Beobachtung der Gruppe wurden ihr wesentliche Teile
der Konzeption
und Ausführung der gesamtschweizer Aids-Kampagne übertragen.
Die Selbsthilfeorganisation
wurde so zu einer parastaatlichen Einrichtung. Dieses Einklinken des
eidgenössischen
Gesundheitsamts in die Aids-Hilfe der Schweiz und die gemeinsame
Ausführung
einer im wesentlichen von der Aids-Hilfe konzipierten
Aufklärungskampagne
entspricht ganz den Verwaltungstraditionen des Landes [10].Hinzu
kam im Fall der Aids-Politik ein Moment strategischen Wahlhandelns. Das
schweizer Bundesamt für das Gesundheitswesen konnte aufgrund
kantonaler
Zuständigkeit ohne Anwendung bestehender Seuchengesetze keine
gesamtschweizerische
Aids-Kampagne konzipieren und ausführen. Ein Konsens der Kantone -
vom
modernen Genf bis zum konservativen Appenzell-Innerrhoden - wäre
im Bereich
der Aids-Aufklärung mit ihrer Nähe zum Drogen-, Intim- und
Schambereich
an heterogenen Moralvorstellungen gescheitert. Das Bundesamt für
Gesundheitswesen
hätte weder für Kondome werben, sie herstellen oder gar
verteilen können.
Der schweizer Aids-Hilfe-Verein mit seiner "Hot Rubber Company" tut all
dies in der Gesamtschweiz mit öffentlicher Förderung.Der
schweizer Staat
konnte also durch die Unterstützung einer nationalen
AIDS-Hilfeorganisation
die föderativen Hürden überspringen und auf Umwegen
seine Präventionsstrategie
durchsetzen. Damit konnte die zentralstaatliche Fachbehörde "am
Dienstweg
vorbei" und unter Umgehung seuchenrechtlicher Probleme ihre Politik bis
in lokale Initiativen hineintragen. Die Parallele zur
Instrumentalisierung
des Deutschen Atomforums im Umgang des Atomministeriums mit der
Schwarzwaldgemeinde
Menzenschwand ist augenfällig. Es geht hier um Einstellungs- und
Verhaltensänderungen
in der Bevölkerung, für die zu werben für den Staat mit
einer unerlaubten
oder wenig opportun erscheinenden Parteinahme verbunden gewesen
wäre.
5. Staat und organisierte Präferenzbildung in der
Industriepolitik
Am Beispiel
der
Industrie-, Wirtschafts- und Forschungspolitik läßt sich
zeigen, daß
die staatliche Organisation der Gesellschaft sich am
nachhaltigsten
auf der Eliten- und Expertenebene, unter weitgehendem Ausschluß
der breiten
öffentlichkeit vollzieht. Die Bildung von sozialen Netzwerken auf
dem
Kernenergiesektor, der Mikroelektronik oder der
Telekommunikationspolitik
sind oft von Institutionen der staatlichen Forschungsförderung
ausgegangen.Die
eingangs dargestellte Organisation des US-Kernenergiesektors durch Clan-Bildung
im Umfeld der "National Laboratories" ist paradigmatisch für
diesen Vorgang.
In ähnlicher Weise ist in der bundesdeutschen
Telekommunikationspolitik
1974 vom damaligen Forschungsminister Ehmke die KtK-Kommission
(Kommission
für den Ausbau des technischen Kommunikationswesens) berufen
worden. In
ihr waren Herstellerunternehmen, die Post, die Rundfunkanstalten und
diesen
Akteuren jeweils mehr oder weniger verbundene Experten vertreten.
Dieses
Netzwerk hat Medien- und Telekommunikationsinteressen zum Zweck der
Konsensmobilisierung
für eine zukünftige Gestaltung des Telekommunikationssektors
zusammengeführt.
Seine über den vorgelegten KtK-Bericht hinausreichende Wirksamkeit
sollte
bis in die Mitte der achtziger Jahre, als längst ganz andere aus
der Mikroelektronik
und Datenkommunikation herrührende Problemkonstellationen
vorlagen, die
Politik in diesem Sektor prägen [11].Als
Probleme der Informationstechnik die medienpolitischen Aspekte der
Telekommunikationspolitik
verdrängt hatten, war es wiederum das Bundesforschungsministerium,
das
initiativ wurde. Es begann das Netzwerk "Informationstechnik 2000" mit
den Arbeitskreisen "Industrieelektronik", "Mikroelektronik",
"Informationsverarbeitung"
und "Technische Kommunikation/Unterhaltungselektronik" aufzubauen [12].
Der letztgenannte Arbeitskreis kann als funktionaler Nachfolger der
KtK-Kommission
angesehen werden. Insgesamt hat aber eine soziale öffnung
gegenüber vorangehenden
Initiativen stattgefunden. Diese öffnung hätte aus autonomer
gesellschaftlicher
Selbstorganisation nicht entstehen können. Folgt man den
Erkenntissen
ökonomischer Verbandstheorien, ist es eher unwahrscheinlich,
daß umfassende,
sektor-übergreifende Interessen ohne äußere Einwirkung
organisierbar
sind.Der Anreiz für einen marktwirtschaftlich orientierten
Maschinenbauunternehmer
in eine Organisation zu investieren, in der die Halbleiterindustrie
nebst
ihren Zulieferern, die neu entstehenden und noch kaum organisierten
Softwarehersteller,
und die Post, Kabelindustrie ebenso wie die Rundfunkanstaltem vertreten
sind, kann als äußerst gering gelten. Selbst wenn man
unterstellt, daß
Verbandseliten als politische Unternehmer in weiser Vorausschau diesen
Weg verfolgen, sind die Hürden vor einer so umfassenden
Selbstorganisation
sehr hoch; besonders da es sich hier um sektoral segmentierte und
darüber
hinaus intern noch weiter ausdifferenzierte Spezialinteressen handelt.
Ohne auf den organisatorischen Aufwand und die Trägheitsmomente in
den
Innen- und Außenbeziehungen verfestigter Gruppen einzugehen,
reicht hier
allein der Hinweis auf das "Schwarzfahrerproblem" um die Schwierigkeit
umfassender Interessenorganisation zur Bereitstellung eines kollektiven
Gutes zu verdeutlichen.Umfassende Interessenorganisation ist eine eher
unwahrscheinliche Folge gemeinsamer Gruppeninteressen (Olson 1965).
Noch
unwahrscheinlicher erscheint sie in einem Bereich, der nicht
gegenwärtige,
sondern mögliche zukünftige Interessenkonvergenzen betrifft.
Die
Aufgabe von Verbänden läge dann darin, die Gemeinsamkeit von
Akteurspräferenzen
erst zu testen oder ein gemeinsames Interesse erst herzustellen.
Historische
Parallelen finden sich immer dann, wenn es um größere
Entwicklungsvorhaben,
wie die Reform landwirtschaftlicher Anbaumethoden, den Eisenbahnbau
oder
neue Energietechnologien geht. Gerade in diesem Bereich, wo in einer
Wettbewerbswirtschaft
die Feststellung der verbindenden Interessen im Vordergrund steht, ist
Interessenorganisation auf der Basis gleich starker Einzelakteure
erschwert.
Viel eher könnten eine hegemoniale Kräftestruktur oder die
vom Staat
verordnete Zwangsmitgliedschaft (Kammerorganisation, gesetzlicher Zwang
oder Anreiz etwa zur Stromverbundwirtschaft o.ä.) die Probleme
dauerhafter
freiwilliger Interessenorganisation von ökonomischen Konkurrenten
überwinden.Gerade
in turbulenten sozialen Umwelten können einzelne Akteure ihre
Präferenzen
nicht immer eindeutig bestimmen. Dies ist häufig die Situation von
Netzwerken
in der Forschungs- und Technologiepolitik. Sie dienen der
Präferenzbildung
unter Bedingungen von Unsicherheit. In Ländern in denen der Staat
einen
Großteil der Forschungsinfrastruktur bereitstellt, kommt ihm
schon deshalb
die Rolle des Initiators solcher Akteursnetzwerke zu, die - direkt oder
indirekt - wiederum die "Selbst"-Organisation gesellschaftlicher
Sektoren
beeinflussen.
6. Direkter Staatseingriff
Gelegentlich
kommt
es auch direkt zur Schaffung gesellschaftlicher Brückenköpfe
durch staatliche
Verwaltungen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist das "Forum
für Zukunftsenergien"
, das vom Bundeswirtschaftsminister initiiert und finanziell
gefördert
wurde. Er hat "einen Gründerkreis aus Wissenschaft, Industrie,
Verwaltung
und Politik zusammengerufen und eine Anstoßfinanzierung in
Aussicht gestellt" [13].
Am 15. Juni 1989 wurde der Verband von 29 ausgesuchten
Repräsentanten
des Energiesektors mit dem Ziel gegründet, einen Dialog zwischen
verschiedenen
Energieträgern herbeizuführen. Es besteht heute aus 180
Mitgliedern,
darunter 56 Unternehmen und 40 Verbände und Organisationen sowie
individuelle
Mitglieder. Die befassten Ministerien des Bundes und der Länder
haben
satzungsgemäß Zutritt. Das Kräfteverhältnis
läßt sich aus der Mitgliederverteilung
ablesen: die Hälfte sind Versorgungsinteressen, ein Drittel
Herstellerinteressen,
der Rest Wissenschaft, Staat, Verbraucher.Ursprüngliches Ziel der
Inititiative
des Ministerialabteilung "Erneuerbare Energien" war es indessen, die
zersplitterten
Interessen der Hersteller von Anlagen zur Gewinnung von
Alternativenergien
- hauptsächlich Solarenergie und Windkraft - zusammenzufassen.
Damit sollte
aus der Sicht des Referates im Wirtschaftsministerium ein
Ansprechpartner
in dieser wenig organisierten Wirtschaftsbranche sowie ein Gegengewicht
zum "Atomforum" geschaffen werden. Es wurde sogar daran gedacht den
Namen
"Solarforum" zu wählen. Dies ressortpolitische Ziel konnte von den
Vertreteren
der Nuklearinteressen im Ministerium verhindert werden. Sie forderten
die
Anerkennung und Beteiligung der Kernenergie als zukunftsorientierte und
saubere Energiequelle. Die Elektrizitätsversorger, ohne deren
Beteiligung
ein "Solarforum" wirkungslos geblieben wäre, machten die Mitarbeit
von
der Vertretung aller in ihrem Bereich gebräuchlichen
Energieträger abhängig.
So wurde ein prominentes Mitglied des "Atomforums"
Aufsichtsratsmitglied
der Asea-BBC und Vorsitzender des Gesamtverbandes der Technischen
überwachungsvereine,
Herbert Gassert, Vorstandsmitglied und Vertreter der Nuklearengergie im
"Forum für Zukunftsenergien". Die Kernenergiewirtschaft sah sich
in der
prekären Lage, die Beteiligung an einem Gremium fordern zu
müssen, daß
sie als "überflüssig" erachtete, und in das sie, genau
besehen, mit sanftem
Druck "hineingezwungen" wurde. [14]Das
"Forum für Zukunftsenergien" zeigt, wie aus binnenpluralistischen
Anpassungsprozessen
zwischen staatlichen Ressorts ein "organisierter
Verbändepluralismus"
im gesellschaftlichen Bereich entsteht. Dabei war die den Akteuren
gemeinsame,
wenngleich in vertrackter Weise aufgezwungene, Strategie auf eine
interessenpolitische
öffnung geschlossener
Repräsentationsstrukturen angelegt. Zunächst sollte einem
noch schwach
vertretenen Interesse zu größerer Berücksichtigung
verholfen werden.
Das monopolistische Gegeninteresse konnte sich dem kaum entziehen, wenn
es nicht den Ausschluß aus einem staatlich geförderten
Gremium risikieren
wollte. Das "Forum für Zukunftsenergien" kann freilich, wenn dort
die
Phase der Präferenzbildung und Konsensmobilisierung abgeschlossen
sein
wird und die industriellen Solarinteressen innerhalb der Hersteller-
und
Betreiberunternehmen stärker werden sollten, zu einer neuen, das
"Atomforum"
ergänzenden oder ihm entgegengesetzten "Energielobby"
werden.Staatliche
Organisation der Gesellschaft heißt nicht, daß damit
gesellschaftliche
"Einflußpolitik" unterbunden werden soll. Im Gegenteil, sie kann
ebenso
als Ermunterung gesellschaftlicher Einflußpolitik verstanden
werden. Insofern
handelt es sich bei den hier skizzierten Fällen weder um
Fälle von "Neo-Korporatismus"
noch lediglich um eine Umkehrung der pluralistischen
Einflußvektoren von
den Verbänden zum Staat.Das Konzept korporatistischer
Interessenvermittlung
basiert auf einer Vorstellung von Systempolitik, wobei Regierungen und
beteiligte Interessen zur Erreichung eines vorher bekannten und
akzeptierten
Systemzieles - Geldwertstabilität, Kostendämpfung im
Gesundheitswesen,
etc. - ihr Verhalten aufeinander abstimmen. Die hier angesprochene
staatliche
Organisation oder Desorganisation gesellschaftlicher Interessen ist
strategisch
anders einzuordnen. Der Druck, den das Bundeswirtschaftsministerium
zugunsten
der Organisation von Gegeninteressen ausgeübt hat, ist nicht im
Rahmen
des Korporatismuskonzeptes erklärbar: Der Staat förderte
gesellschaftliche
Interessenorganisation um sich damit gewollt ihrem Einfluß zum
Zwecke
der konsensuellen Präferenzbildung auszusetzen. Damit verbunden
ist, anders
als in Fällen eines "gereiften" korporatistischen Elitenkartells,
meist
die Strategie einer interessenpolitischen öffnung. Staatliche
Politik
sorgt gewissermaßen dafür, daß die von Olson (1965)
für unmöglich
erklärte pluralistische Konflikt- und Organisationsdynamik doch
noch zum
Zuge kommt, wenngleich nur als Kind staatlicher Sorge und weniger als
Prozess
gesellschaftlicher Selbstorganisation. Konzepte eines pluralistischen
Interessengleichgewichts
und der systemtheoretischen Autopoiesis können die
Beweggründe der Politik
nicht aufklären [15].
Letzteres sollte nun gerade in der Politikwissenschaft ein zentrales
Anliegen
sein, wo es weniger um die eigenlogische übersetzung von
Mikro-Verhalten
in Makro-Strukturen geht, als um die aktive Beeinflussung und
Gestaltung
von synergetischen sozialen Prozessen (Windhoff-Héritier/Czada
1991).Wenn
man Regierung und Verwaltung als Akteure versteht, deren Aufgabe es
ist,
die gesellschaftliche Entwicklung in eine bestimmte Richtung zu lenken,
dann stellt sich die Frage nach ihren Handlungsoptionen im Umgang mit
entweder
nur tranistorisch verbundenen oder fest organisierten in jedem Fall
aber
selbstinteressierten gesellschaftlichen Akteuren. Solange
Präferenz- und
Konsensbildungsprozesse im Vordergrund stehen kann meist von einem
gemeinsamen
Interesse aller Beteiligten an der Klärung unsicherer
Handlungsbedingungen
ausgegangen werden. In solchen Fällen interveniert meist nicht der
politische
Staat gegen die an Eigenständigkeit interessierte
Gesellschaft.
Es gibt indes zahlreiche Konfliktlagen, in denen sich
Interaktionsprobleme
zuspitzen, weil einzelne Akteursgruppen direkte Verluste oder interne
Probleme
in ihrer Mitgliedschaft befürchten müssen. In dieser
Situation werden
insbesondere private Akteure gegenseitige Abhängigkeiten mehr als
Fessel
denn als Möglichkeit zur langfristigen Sicherung gemeinsamer
Handlungsräume
betrachten. Für staatliche Akteure gilt dies nicht im selben
Ausmaß.
Erstens sind für nicht-marktliche Akteure die Kosten einer
Entorganisierung
ihrer gesellschaftlichen Umwelt ungleich höher; zweitens lassen
sich im
Staat interne Resortkonflikte leichter organisatorisch abarbeiten oder
büropluralistisch neutralisieren, als Verteilungskonflikte
zwischen oder
innerhalb von Verbänden mit freiwilliger Mitgliedschaft.
Insbesondere
sind staatliche Ressorts bestrebt, ihre Informationsprobleme durch
Bildung
eigener Expertise oder auf dem Wege "administrativer
Interessenvermittlung"
zu lösen.
7. Formen und Folgen der Abhängigkeit des Interventionsstaates
von verbandlicher
Expertise
Neben
Funktionen
der Präferenzbildung, Handlungsabstimmung und Konfliktschlichtung
ermöglichen
Netzwerke aus Staatsverwaltungen und gesellschaftlichen
Interessenverbänden
die Indienstnahme von Verbänden für Zwecke staatlicher
Informationsgewinnung
und Aufgabenerfüllung. In der Verbändeforschung findet sich
häufig das
Argument, staatliche Politik sei auf verbandliche Expertise angewiesen,
und deshalb werde die Inkorporation vordem freier
Interessenverbände in
Politik und Verwaltung zur funktionalen Notwendigkeit (Offe 1981,
Alemann
1987, Voelzkow/Hilbert/Heinze 1987). Im internationalen Vergleich zeigt
sich allerdings, daß dieser Zusammenhang auf Voraussetzungen
beruht, die
nach Politikfeldern und Ländern variieren. So verfügt etwa
die Regierung
der USA in der Kernenergiepolitik über eine zumeist
größere Expertise
als gesellschaftliche Organisationen, einschließlich vieler der
in diesem
Bereich dominierenden Wirtschaftsunternehmen. Allein die "Nuclear
Regulatory
Commission" beschäftigt über 3000 Mitarbeiter, darunter viele
Ingenieure,
die wiederum in der "Nuclear Navy" ausgebildet wurden. Die "National
Laboratories",
obschon in jüngerer Zeit teils von Privatunternehmen im Auftrag
des Department
of Energy (DOE) betrieben, bilden ein Wissensreservoire auf das
staatliche
Ressorts jederzeit vollen Zugriff besitzen [16].
In der Bundesrepublik liegt dagegen die wissenschaftlich-technische
Expertise
und praktische Ausführung der Atomaufsicht überwiegend in den
Händen
privatrechtlicher Organisationen (v.a. TüV und Gesellschaft
für Reaktorsicherheit).
Dies ist keinesfalls eine aus ungleicher Informationsverteilung oder
der
Komplexität des Aufgabenfeldes folgende Notwendigkeit. Die starke
Stellung
des TüV und der GRS ist auch nicht Ausdruck einer "Tendenz zur
Privatisierung
und Desintegration der Verwaltung" im Spätkapitalismus (Hirsch
1973; 248),
sondern Ergebnis früher historischer Weichenstellungen in Richtung
einer
verbandlichen technischen Sicherheitsüberwachung in Deutschland.
ähnlich
kontingente, strukturfunktionalistisch nicht erfassbare
Zusammenhänge
gelten ganz allgemein für die Autonomie des Staates. Dort wo aus
historischen
Gründen gesellschaftliche Organisationen an der Politik beteiligt
sind,
kann man nicht von vorneherein auf einen Autonomieverlust des Staates
schließen.
Dies soll - der Einfachheit halber - nicht am Beispiel der
Nuklearregulierung
illustriert werden. Besser eignet sich hier eine an Max Webers
Ausführungen
zur Kollegialverwaltung anknüpfende Interpretation der
schwedischen Verbändeeinbindung
in die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.Das schwedische System
korporatistischer
Verbändeeinbindung und Kommitteeverwaltung eignet sich besonders,
mannigfaltige
Formen und Auswirkungen einer vom Staat ausgehenden Organisation der
Gesellschaft
zu untersuchen. Zur weitreichenden Praxis konsultativer
Untersuchungskommissionen
und Beiräte auf Regierungsebene (Jann 1981) kommen in Schweden
Traditionen
der Kollegialverwaltung mit direkter Verbändeeinbindung. Ein
bekanntes
Beispiel ist die Arbeitsmarktbehörde AMS, die etwa 10 Prozent des
Staatshaushaltes
im Bereich der Beschäftigungs- und Industriepolitik ausgibt und
dabei
von einem Direktorium aus Vertretern von Gewerkschaften und
Arbeitgebern
geleitet wird.Die Verbindung von legaler Herrschaft und sozialer
öffnung
der Verwaltung für Interessenten hat schon Max Weber (1972; 158ff,
574ff)
geschildert und vor allem in ihrer Funktion als Beratungs- und
Abstimmungsinstanz
gesehen. Zwar konzentrieren sich seine Ausführungen auf die
"Kollegialität
der Herrschaft" in einem engeren Sinne, nämlich die
bürokratische Gewaltenteilung
zwischen mehreren von Fachmeinung und Interessenlage geleiteten
Fachbehörden
- insofern auf die öffnung der Verwaltung nach innen - sowie auf
ständische
Kollegien in patrimonialen und feudalen Herrschaftsverbänden.
Gleichzeitig
finden sich jedoch Hinweise auf die öffnung moderner legaler
Verwaltungen
nach außen. Interessanterweise sieht Weber hierin die
Möglichkeit einer
weiteren Macht- und Effizienzsteigerung der Verwaltung:"überlegen
ist
der Sachkenntnis der Bürokratie nur die Sachkenntnis der
privatwirtschaftlichen
Interessenen auf dem Gebiet der 'Wirtschaft'. Dies deshalb, weil
für sie
genaue Tatsachenkenntnis auf ihrem Gebiet direkt wirtschaftliche
Existenzfrage
ist..." (Weber 1972; 574). Die Entwicklung "speziell, welche die
konkrete
Sachkenntnis der Interessenen in den Dienst der rationalen Verwaltung
fachgebildeter
Beamter zu stellen sucht, hat sicherlich eine bedeutende Zukunft und steigert
die Macht der Bürokratie noch weiter" (ebenda; 576,
Hervorhebungen
R.C.)Weber hat die produktive Verbindung von
verfahrensmäßiger Regelbindung
und Offenheit gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt, wie wir sie
vor
allem in Schweden antreffen, durchaus gesehen. Sein Typus der legalen
Herrschaft
umfaßt "das Turnus-, Los- und Wahlbeamtentum, die Parlaments- und
Kommitteeverwaltung
und alle Arten kollegialer Herrschaft und Verwaltungskörper, ...
falls
ihre Kompetenz auf gesatzten Regeln beruht und die Ausübung des
Herrschaftsrechtes
dem Typus legalen Verwaltens entspricht." (Weber 1972; 2). Seine
Beobachtung,
wonach diese Verwaltungsformen "in schneller Abnahme zugunsten der
faktischen
und meist auch formal monokratischen Leitung begriffen" sind (Weber
1972;
128), bezieht sich explizit auf Preußen. Man kann insofern die
sehr viel
spätere, mit ihrer Ausdifferenzierung einhergehende öffnung
der modernen
Verwaltung nicht gegen die Webersche Bürokratietheorie ins Feld
führen.Wenn
es zutrifft, daß Verbändeeinbindung die Macht der Verwaltung
gegenüber
gesellschaftlichen Interessen befestigt und sogar steigert, warum
beteiligen
sich diese dann überhaupt? Innerhalb des schwedischen
Arbeitgeberverbandes
(SAF) waren anfangs der 80er Jahre starke Bestrebungen imgange, die
Beteiligung
von Verbänden an der Verwaltung zurückzudrängen, da sie
zur Verfälschung
der Interessenvertretungsfunktion der Verbände und zur
Aufblähung der
Staatsausgaben führe:"Die SAF verlangt mit großem Nachdruck
Kürzungen
der öffentlichen Ausgaben. (...) Trotzdem haben die SAF-Vertreter
in der
nationalen Arbeitsmarktbehörde keinerlei Einspruch gegen die
Forderung
nach Ausweisung von 1350 neuen Stellen erhoben. Was macht das für
einen
Sinn?" (SAF-tidningen 1980;28)Die SAF kam zu dem Schluß,
daß ihre Repräsentation
in Verwaltungsbehörden zu "unlösbaren Problemen" und zu
"gespaltenen
Loyalitäten und zweischneidigen Mandaten" führe. Insbesondere
fällt
es der SAF schwer ihre Repräsentanten in Verwaltungsgremien zur
Verantwortung
zu ziehen. Die SAF-Vertreter in den Direktorien der
Sozialversicherungsbehörde
(Lars-Gunnar Albage) und der Arbeitsmarktbehörde (Stellan Artin)
äußerten
1987 auf Befragung, daß sie sich der Arbeit der
Verwaltungsbehörden verpflichtet
fühlten und sie im übrigen ab und zu an Entscheidungen
teilhaben, an
denen sie lieber nicht teilhaben würden. "Aber auf der anderen
Seite muß
dies gegenüber der Möglichkeit abgewogen, werden
Entscheidungen in anderen
Sachfragen herbeizuführen, in denen schlechtere Ergebnisse zu
erwarten
gewesen wären" (Lars-Gunnar Albage, zitiert nach Rothstein
1988;251).
Beteiligung wird so zur Einbindung und führt nicht selten zu
Widersprüchen
zwischen dem unmittelbaren Interesse der Mitglieder oder von
Mitgliedergruppen
und längerfristigen Organisationsinteressen, die
innerorganisatorische
Konflikte auslösen können.Man kann unschwer vermuten,
daß das von schwedischen
Verbandsrepräsentanten in Verwaltungsbehörden
geäußerte Befinden "zwischen
den Stühlen zu sitzen" (Rothstein 1988) ein Ziel staatlicher
Verbändeeinbindung
ist, um sie dadurch den öffentlichen Interessen näher zu
bringen. Ganz
sicher gehört die von Weber beschriebene unmittelbare Macht- und
Effizienzsteigerung
durch Interesseneinbindung zum strategischen Repertoire von
Ministerialverwaltungen.
8. Fazit
Die staatliche
Organisation
der Gesellschaft ist - so muß man annehmen - vom Selbstinteresse
staatlicher
Ressorts geleitet. Nicht immer schließen sich die Interessen
zusammen,
um auf staatliche Entscheidungen Einfluß zu nehmen, sondern
staatliche
Ressorts, im Regelfall Ministerien, organisieren die Interessen oder
unterstützt
deren Organisation, um ihnen ihre Politik besser zu vermitteln (vgl.
Ullmann
1988;32), Aufgaben an diese Organisationen abzugeben (Delegation), oder
eine ausgewogene Interessenrepräsentation zu erreichen, d.h.
gesellschaftliche
Gegeninteressen zu schwächen. Man kann diese Strategien in
Weberschen
Begriffen als Strategien propagandistischer öffnung oder protektionistischer
Schließung fassen. Staatlichen Eingriffen in
gesellschaftliche Organisation
liegen Strategien der interessenpolitischen öffnung und
Schließung von
Akteursnetzwerken zugrunde.Die erwähnten Fälle enthalten
Beispiele sozialer
öffnung: die KtK-Kommission brachte vordem kaum vernetzte
korporative
Akteure aus dem gesamten Kommunikationssektor zusammen. ähnliches
gilt
für die BMFT-Arbeitskreise "Informationstechnik 2000", das
neugegegründete
"Forum für Zukunftsenergien" sowie die amerikanischen
Nuklearinteressen
in den fünfziger und sechziger Jahren. Strategien der
Schließung finden
sich in der amerikanischen Nuklearpolitik nach 1979. Durch die
Ausdifferenzierung
der vorherigen, vergleichsweise offenen clan-Struktur, wurde der Sektor
gegenüber der Kernkraftkritik oppositioneller Verbände und
Bewegungen
widerstandsfähiger gemacht. Am Beispiel der schwedischen
Verbändeeinbindung
läßt sich zeigen, daß öffnung der Verwaltung
gegenüber der Gesellschaft
gleichwohl eine interessenpolitische Schließung bedeuten kann, da
Regierung
und Verwaltung autonom bestimmen, welche Interessen repräsentiert
sein
sollen und welche ausgeschlossen werden (vgl. Czada 1990). Die
schweizer
Aids-Politik ist dagegen ein typisches Beispiel der Delegation von
Staatsaufgaben
und damit der Entlastung des Staates. Hier geht es vornehmlich um eine
Instrumentalisierung verbandlicher Steuerungsmittel, während in
den zuerst
genannten Fällen staatliche Politik direkt auf eine
Veränderung oder
Stabilisierung gesellschaftlicher Kräfte einwirkt.Bei genauer
Hinsicht
zeigt sich, daß jeweils spezifische instititutionelle
Rahmenbedingungen
staatliches und verbandliches Handeln bestimmten. Einmal sind es
fragmentierte
Regierungsstrukturen, deren Handlungsschranken durch
Verbändeeinbindung
und Aufgabendelegation überwunden werden (schweizer Aids-Politik),
ein
andermal versucht eine zentrale Regulierungsagentur durch die
Förderung
eines Verbandes die gesellschaftliche Unterstützung ihrer eigenen
Ziele
zu gewinnen (frühere US-Atomic Energy Commission). In weiteren
Fällen
erweist sich der Einfluß des Staates als ein Versuch des
Interessenausgleichs
zwischen widerstreitenden gesellschaftlichen Kräften (schwedische
Arbeitsmarktpolitik).
Voraussetzung solcher Strategien sind jeweils bestimmte
Regierungsstrukturen
wie Föderalismus, das Vorhandensein inneradministrativen
Wettbewerbs,
Traditionen der Kollegialverwaltung etc.In historischer Perspektive
zeigt
Lehmbruch (1990), wie nationale Staatstraditionen die Konfiguration von
Politiknetzwerken zwischen Staat und organisierten Gruppen der
Gesellschaft
prägen. Prozesse der Institutionalisierung solcher Netzwerke
können dauerhafte
internationale Unterschiede von Staat-Gesellschaftsbeziehungen
erklären.
Funktionalistische Ansätze müssten demgegenüber eine
säkulare Konvergenzentwicklung
dieses Beziehungsgeflechtes prognostizieren; also etwa allgemeine
Trends
zum Pluralismus, Korporatismus, Syndikalismus, Autopoiese, sozietale
oder
post-moderne Steuerungsformen etc. Diese verallgemeinernden Sichtweisen
sind nun selbst vom nationalen Standpunkt ihrer überbringer
abhängig:
In den USA gilt die Stärkung der "state-capacities" als Rezept
gegen Probleme
- etwa in der Industrie- oder Sozialpolitik -, gegen die in der
Bundesrepublik
sozietale Selbststeuerung empfohlen wird. Während hierzulande die
Möglichkeit
von "Regieren" oft mehr oder weniger angezweifelt wird,
entwickeln
sich dort in Teilen der Wirtschaftswissenschaft und der
Politikwissenschaft
Theorien von "governance" zu einflußreichen Konzepten
der Politikberatung [17].Der
Begriff "Governance" ist neuerdings durch die
Transaktionskosten-ökonomik
(TKö) geprägt. Sie behandelt Effizienzvorteile durch die
nicht-marktliche
Organisation von Transaktionen, etwa Verträge,
Produktionsorganisation,
Verbände, Clans, "private-hierarchies" (Firmen) und
"state-hierarchies",
etc. (Wiliamson 1985, Schneiberg/Hollingsworth 1990, North 1990). Sie
versteht
"governance" als "visible hand" der Organisation im Gegensatz zur
"invisible
hand" des Marktes [18].
Viele überlegungen der Transaktionskostenökonomik sind nicht
grundsätzlich
neu. Einige finden sich implizit in sozialwissenschaftliche Konzepten
wie
der Ggenüberstellung von Markt und Staat, von "Systemintegration"
vs.
"Sozialintegration", im Begriff des "Organisierten Kapitalismus", der
Weberschen
Bürokratietheorie, etc. Eine Folgerung aus dem
Transaktionskostenansatzes
ist: Der "regierte Kapitalismus" hat viele Regierungen, die ganz
unterschiedlichen
Aufgabenspektren und äußeren Funktionsbedingungen zuzuordnen
sind. Ein
entscheidender Fortschritt ist, daß Verbandsorganisation
(association)
nicht als einzige Form gesellschaftlicher Interessenzusammenfassung
angesehen
wird, sondern daß Clans (von Ouchi auf Grundlage des
Japanischen
Falles in die TKö eingeführt) ebenso wie Firmen
(private hierarchies)
dazugehören. In unserem Zusammenhang heißt dies, daß
letztere ebenfalls
Ziel staatlicher Intervention und Organisationsbemühungen sind.
Als Beispiel
ließen sich die von Bund und Ländern über Jahrezehnte
hinweg betriebene
Reorganisation der Luft- und Raumfahrtindustrie oder die
Staat-Gesellschaftsbeziehungen
im Telekommunikationssektor anführen.Vor der Aufgabe des
"Regierens" steht
letzlich jede protektionistische oder
propagandistische Interessenverbindung.
Im Unterschied zur reinen Verwaltungs- und Dienstleistungsorganisation
bietet sie ihren Mitgliedern Schutz und Werbung nach außen. Dabei
ist
im Verkehr zwischen solchen politischen Organisationen, bzw. den sie
repäsentierenden
Eliten, realistischerweise von Präferenzüberschneidungen und
dem Bedürfnis
nach gegenseitigen Bestandsgarantien auszugehen [19].
Daher interveniert meist nicht der politische Staat gegen die
an
Selbstorganisation interessierten Verbände in die Gesellschaft.
Das auf
die Beeinflussung gesellschaftlicher Prozesse ausgerichtete politische
Gemeinschaftshandeln wird vielmehr getragen von Netzwerken aus
staatlichen
und gesellschaftlichen korporativen Akteuren. Ihr Handeln folgt weit
häufiger
überlappenden als gegensätzlichen Interessen. Die hier
vertretene These
ruht insofern nicht auf einer Idealvorstellung staatlicher
Souveränität,
sondern behauptet lediglich, daß die Akteursnetzwerke, denen
selbst Regierungsqualität
zukommt, oftmals dem Kalkül staatlicher Akteure anstelle
gesellschaftlicher
Initiative und Forderung entspringen und entsprechen (Lehmbruch
1990).Wie
dies im Einzelnen und im internationalen Vergleich unterschiedlich
funktioniert,
kann nur historisch nachgezeichnet werden (Lehmbruch 1990). Daß
es der
staatlichen Organisation - bzw. eines mit besonderen Machtmitteln
ausgestatteten
Netzwerkes - überhaupt bedarf, wird dagegen aus Erkenntnissen der
ökonomischen
Theorie der Politik, insbesondere ökonomischer
Verbändetheorien, deutlich
(Olson 1965). Gerade eigeninteressierte Akteure sind aus
opportunistischen
Gründen an der Mitgliedschaft in Verbänden - und noch mehr
ihrer Gründung
- gehindert. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die politische
Durchsetzung
gemeinsamer Interessen von ökonomischen Konkurrenten
gegenüber dem Staat
geht. Der Kollektivgutcharakter von verbandlicher
"Einflußpolitik" verleitet
zum Schwarzfahrerverhalten, und es bedarf deshalb ganz besonderer
Anstrengungen
und Rahmenbedingungen (vgl. Olson 1965) um überhaupt zur
Organisation
gesellschaftlicher Interessen zu gelangen. Der Staat ist legitimiert
und
aufgrund seiner von ökonomischer Konkurrenz losgelösten
Handlungsbedingungen
in der Lage, gesellschaftliche Interessen auch dann zu ordnen, wenn
opportunistische
Motive einer freiwilligen Organisation im Wege stehen. Die Theorie
erlaubt
indessen keine allgemeingültigen Aussagen über Art und
Ausmaß staatlichen
Engagements. Staatliche Verwaltungen können Aufgaben selbst
erledigen
oder ihre gesellschaftliche Bewältigung durch die Organisation
Betroffener
fördern. Wo, auf einer Skala der "Politisierungsmuster zwischen
Staatsintervention
und gesellschaftlicher Selbstverwaltung" (Czada/Dittrich 1980), eine
Aufgabe
erledigt wird, ist durch historische Weichenstellungen bedingt. Anders
als es gängige Theorien der Politik (Pluralismustheorie,
politische ökonomie,
ökonomisch Theorie der Politik, Systemtheorie) nahelegen,
fungieren dabei
oft staatliche Akteure als Weichensteller.
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pp. 107 - 168 in: Evans, Peter B., Dietrich Rueschemeyer and Theda
Skocpol
(eds.) Bringing the State Back In. Cambridge, New York: Cambridge Univ.
Press.
Williamson,
Oliver
E. (1975) Markets and Hierarchies. Analysis and Antitrust Implications.
A Study in the Economics of Internal Organisation. New York
Williamson,
Oliver
E. (1985) The Economic Institutions of Capitalism. Firms, Markets,
Relational
Contracting. New York
Willke,
Helmut
, 1983: Die Entzauberung des Staates. überlegungen zu einer
sozietalen
Steuerungstheorie, Königstein/Ts.
Willke,
Helmut,
1990: Political Intervention - Operational Preconditions for
Generalized
Political Exchange, in: Marin, Bernd (Hrsg.) Governance and Generalized
Exchange, Franfurt/Boulder Col.; 235 - 254
Fußnoten
[*]
Ein Großteil der hier vorgestellten überlegungen entstammt
dem DFG-Projekt
"Administrative Interessenvermittlung" (Leitung Prof. G. Lehmbruch),
das
bis Ende 1990 innerhalb des Konstanzer Sonderforschungsbereiches
"Verwaltung
im Wandel" angesiedelt war und 1992 abgeschlossen werden soll. Für
eine
kritische Durchsicht des Manuskriptes danke ich Wolfgang Luthardt und
Angelo
Caragiuli.
[1]
Die Dichotomie Staat-Gesellschaft impliziert jedoch keineswegs diese
Annahme.
Sowohl die Luhmannsche Systemtheorie als auch Theorien strategischer
Interaktion
vermögen dies zu verdeutlichen: Der im Begriff der "Autopoiesis"
enthaltene
Zusammenhang von Selbstreproduktion und Ressourcenaustausch trägt
ebenso
wie spieltheoretische Konzepte zu einem von Wechselseitigkeit
geprägten
Verständnis von Autonomie und Abhängigkeit bei.
[2]
Alternative wäre die Luhmannsche Systemtheorie, die
Ressourcenabhängigkeit
nach außen (Offenheit) und innere Reproduktionslogik
(Geschlossenheit)
als getrennte Eigenschaften eines Systems begreift und daher zu
ähnlichen
Ergebnissen kommt. Die Interpenetration selbstreferentieller
Teilsysteme
kann als Verhältnis gegenseitiger Unterstützung anstelle
hierarchischer
über-, Unterordnung, bzw. parasitärer Ausbeutung verstanden
werden.
[3]
Joachim Hirsch (1973) hat frühzeitig auf die staatliche
Organisation der
Gesellschaft im Bereich der Forschungspolitik hingewiesen. Er
erklärt
diese jedoch nicht poliikfeldsspezifisch, aus prekären, von
Unsicherheit
gekennzeichneten Akteurskonstellationen, sondern aus einer
geschlossenen
Situation staatsmonopolitistischer Vermachtung, in der der
kapitalistische
Staat ein objektiv feststellbares Profitinteresse der
Großindustrie auf
dem Verwaltungsweg durchsetzt.
[4]
Die Schilderung neuerer Entwicklungen beruht auf Interviews im Rahmen
des
Konstanzer DFG-Projektes "Administrative Interessenvermittlung".
Besonders
ausfschlußreich waren die Gespräche mit Prof. Miro
Todorovich (Scientists
and Engineers for Secure Energy), Thomas Price (Nuclear Management and
Ressource Council und Tennessy Valley Authority), Mike Challagan und
Jack
Heltemes (Nuclear Regulatory Commission), Gary Falter (Institute for
Nuclear
Power Operations) und John Chubb (Brookings Institution).
[5]
Daß das 1959 gegründete Deutsche Atomforum auch ein
informationspolitisches
Organ des Atomministeriums war, wird aus einer äußerung des
Staatssekretärs
Cartellieri vor der Deutschen Atomkommisson am 4.12.1963 deutlich.
Danach
sollte das DAtF, nachdem das Ministerium Widerständen der Gemeinde
Menzenschwand
gegen Uranschürfarbeiten juristisch nicht beikommen könne,
erst einmal
den Boden in der öffentlichkeit bereiten. Radkau (1983;148)
schreibt dazu
weiter: "Solche Aufgaben wurden später Hauptinhalt der
Atompolitik, und
daher hat das Atomforum die Atomkommission bis heute überlebt".
[6]
Wie bedeutsam und einflußreich diese Gruppe für die
Entwicklung der zivilen
Kernkraftnutzung gewesen ist beschreibt anschaulich der Navy-Historiker
Francis Duncan in seinem jüngst erschienen Buch "Rickover and the
Nuclear
Navy. The Discipline of Technology", Annapolis 1990: United State Naval
Institute.
[7]
Die erste, zu Lebzeiten erschienene Biographie von Norman Polmar and
Thomas
B. Allen trägt den Titel: "Rickover, Controversy and Genious" (New
York
1982: Simon and Schuster) und betont die persönlichen
gruppenbildenden
Fähigkeiten des Admirals, der seit den sechziger Jahren "graue
Eminenz"
der amerikanischen Nuklearpolitik gewesen ist. Rickover war Träger
höchster
wissenschaftlicher und militärischer Auszeichnungen (unter anderem
des
Fermi-Awards für überragende Leistungen auf dem Gebiet der
Nuklearforschung,
den er unter anderen mit Fritz Straßmann und Lise Meitner teilt).
[8]
INPO hat demnach ähnlichkeiten mit den im Zuge
nationalsozialistischer
Wirtschaftsreformen in Deutschland eingeführten
Betriebserhebungen, die
bis zum Kriegsende Pflichtaufgabe der Fachverbände waren,
später wegen
ihres offensichtlichen Nutzens für die Unternehmen aber
beibehalten wurden.
[9]
Lehmbruch (1990) zeigt gerade am Beispiel der Schweiz die
Institutionalisierung
von Netzwerken aus staatlichen Verwaltungen und Organisationen der
Gesellschaft,
die eigentümlich nationale Politikstile begründen und
historisch verfestigen.
[10]
So finanzierte die schweizer Regierung dem
Unternehmerverband
eine Personalstelle zur Vorbereitung von Handelsvertragsverhandlungen
oder
zog es vor, ein Abkommen zwischen westschweizerischem Mieterbund und
dem
Grund- und Hauseigentümerverband als äquivalent für eine
Mieterschutzgesetzgebung
anzuerkennen, anstatt eigene Leistungen zu erbringen. Der schweizer
Bundesrat
begrüßt grundsätzlich die Lösung sozialer und
wirtschaftlicher Probleme
durch Privatabmachungen statt durch staatliche Intervention, wobei auf
der Grundlage eines 1972 verkündeten Verfassungsartikels die
staatliche
Föderung "privater Politik", etwa durch das Instrument der
Allgemeinverbindlichkeitserklärung
zusätzlich erleichtert wird.
[11]
Die KtK-Kommission hat auch in die spätere "Regierungskommission
Fernmeldewesen"
hineingewirkt. In beiden hatte Prof. G. Witte den Vorsitz.
[12]
Eine den "National Laboratories" analoge Rolle spielen etwa im
Arbeitskreis
Mikroelektronik die Fraunhofer-Institute. Sie stellen die
organisatorische
Infrastruktur sowie die personelle Geschäftsführung und sind
auch anteilsmäßig
mehrfach vertreten, während die beteiligte Industrie
vergleichsweise heterogen
zusammengsetzt bleibt. Als Sprecher fungiert typischerweise der
Vertreter
des meinungsführenden Unternehmens (hier: Dr. Franz, Vorstand der
Siemens
AG).
[13]
Herbert Gassert auf der Wintertagung 1990 des Deutschen Atomforums in
Bonn.
[14]
Diese Einschätzung basiert auf Interviews mit Vertretern der
Kernenergiewirtschaft,
insbesondere des Deutschen Atomforums, die in den Jahren 1990 und 1991
durchgeführt wurden.
[15]
Auf die Parallelen zwischen Pluralismustheorie und Systemtheorie ist
früh
- etwa von David Easton - hingewiesen worden. Tatsächlich ist
gesellschaftliche
Selbstorganisation für die Pluralismustheorie nur Folge einer
veränderten
Wahrnehmung der für ein spezifisches Interesse unmittelbar
relevanten
Umwelt, eine Reaktion auf Betroffenheit (Truman 1952). Sehr deutlich
kommt
diese Verwandschaft auch in Willke (1990; bes. S. 236f.) zum Vorschein.
[16]
ähnliches gilt im übrigen für die französische
Nuklearregulierung aus
"Commissariat á l'Energie Atomique" und "Electricité de
France". Hier
sind es die den "Grand Corps de l´Etat" angehörenden
Spitzenbeamten,
die "nucleocrates", welche den Kernenergiesektor kontrollieren. Im
Unterschied
zu den USA mit ihrer hoch formalisierten und bürokratisierten
Regulierungsstruktur
sind sie jedoch eher informell vernetzt - man wohnt sogar meist in
enger
Nachbarschaft (Simmonot 1978) und bleibt von Parlament und
öffentlichkeit
weitgehend abgeschottet. Wenn dagegen mehr als drei der fünf
"Commissioners"
der NRC zusammentreffen, muß dieses Treffen protokolliert werden.
[17]
Governance bezieht sich hier nicht nur auf den Staat, sondern ebenso
auf
Verbände, Unternehmen und Clans (vgl. Campbell, Lindberg,
Hollingsworth
1988). Der Einfluß der Transaktionskostenökonomik ist
insbesondere in
der Wettbewerbspolitik festzustellen. Die mikroökonomisch
begründete
Einsicht, das die vetrauensvolle Zusammenarbeit von Unternehmen
effizienzsteigerend
wirken und die amerikanische Wettbewerbsposition auf den
Weltmärkten verbessern
kann, hat bereits in den von einer monetaristischen
makroökonomischen
US-Politik beherrschten 80er Jahren zu einer Aufweichung des strikten
"Anti-Trust"
Kurses geführt (Rittaler 1989).
[18]
"Williamson's work rejects technological, legal, and class analytic
approaches
and constructs an alternative theory of economic governance via a logic
that dimensionalizes transactions, that identifies the mechanisms and
institutional
arrangements which "harmonize the interfaces" between economic actors,
and that uses a comparative assessment of the cost and performance
attributes
of these arrangements to specify the conditions under which various
governance
structures form and develop ... What has emerged from Williamson's
logic
is a refined and sophisticated theory of why, where, and when the
"visible
hand" of informal or formal-bureaucratic modes of governance supplement
and/or replace the "invisible hand" of autonomous contracting and the
market".
(Schneiberg/Hollingsworth 1990;200)
[19]
Auf diesen von vielen Konflikttheorien vernachlässigten Tatbestand
hat
Scharpf (1981) nachdrücklich hingewiesen.