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7. Kontrolle der Treuhandanstalt

Das der Treuhandpolitik zugrundeliegende Prinzip der öffentlichen Finanzierung privater Entscheidungen verstieß gegen die Prinzipien demokratischer Mitwirkung und Kontrolle. Die Treuhandanstalt legte großen Wert auf Vertraulichkeit und Diskretion, insbesondere im Umgang mit potentiellen Investoren aber auch in manchen heiklen binnenorganisatorischen Entscheidungsprozessen. Dies ging soweit, daß sie dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Bundestages, der zur Durchleuchtung der Organisation und ihrer Tätigkeit eingesetzt wurde, jede Einsicht in die Protokolle ihres Verwaltungsrates und in einzelne Privatisierungsverträge verwehrte. Diese Geheimniskrämerei wurde als ein Fehler bezeichnet, weil sie den Verdacht dubioser Geschäfte geweckt und verstärkt hat[Fußnote 29]. In den Augen des THA-Vorstandes sollte Geheimhaltung dem Zweck der Stabilisierung von laufenden Verhandlungen und kompromißförmigen Verhandlungsergebnissen dienen. Die Treuhandanstalt mußte nämlich verschiedentlich erfahren, daß Öffentlichkeit den Verhandlungsverlauf negativ beeinflußte. Hinzu kam, daß Verträge - soweit darin Unternehmenskonzepte und Marketing-Strategien enthalten sind - durch eine Veröffentlichung gänzlich entwertet worden wären. Die Geheimhaltungspraxis widerspricht indes nicht nur den Regeln der Marktwirtschaft, die allein bei offenem Tausch zu allseits bekannten Kondition funktionieren kann. Sie verletzt auch die Kontrollrechte des Parlaments gegenüber Regierung und Verwaltung.

Das ökonomische Vereinigungsmanagent blieb eine Angelegenheit der politischen Exekutive und der Wirtschaft. Wenn man von der Genehmigungerfordernis bestimmter finanzwirksamer und konzeptioneller Entscheidungen und alltäglichen informellen Absprachen mit Bonner Ministerien, insbesondere dem Finanzministerium einmal absieht, so sind zwei Eingriffstellen der Regierung von besonderem Interesse: Der THA-Leitungsauschuß und die sogenannte "Ludewig-Runde" - benannt nach dem vom Bundeskanzler mit Fragen des Aufbaues Ost betrauten Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt Johannes Ludewig. Als parlamentarische Kontrollgremien fungieren der Treuhandausschuß und der Treuhand-Untersuchungsausschuß im Deutschen Bundestag.

Der Leitungsauschuss - ein eigenständiges, in der Treuhandanstalt tätiges aber ihr nicht eingegliedertes Beratungsorgan des Bundesfinanzministeriums - überprüfte alle in der Zentrale eingehenden Unternehmenskonzeptionen und hat Empfehlungen zu deren Behandlung ausgesprochen. Ein politisches Koordinationsgremium entstand mit der Einrichtung der "Ludewig-Runde". Sie tagte erstmals am 13. Mai 1991 und daraufhin in mehrwöchigen, zuweilen auch kürzeren Abständen meist in der Berliner Außenstelle des Bundeskanzleramtes. Aufgabe sollte es sein, die Kooperation von Bund, Ländern und Treuhandanstalt zu verbessern[Fußnote 30]. Das Gremium wurde auf Grundlage der "Grundsätze zur Zusammenarbeit von Bund, neuen Ländern und Treuhandanstalt für den Aufschwung Ost" vom 14. März 1991 eingerichtet. Diese Vereinbarung führte auch zur Gründung von die Treuhand-Wirtschaftskabinette und Treuhand-Monatsgesprächen als Schnittstellen zwischen den Regierungen der neuen Länder und der Treuhandanstalt[Fußnote 31].

Die parlamentarische Kontrolle der Treuhandanstalt war zunächst einem Unterausschuss des Haushaltausschußes des Bundestages übertragen worden. Im Vergleich zu Bundes- und Landesregierungen hatte er für die Überwachung und Steuerung der Treuhandanstalt nur geringe Bedeutung. Das liegt einmal daran, daß die üblichen Lenkungsmechanismen und Zustimmungsvorbehalte des parlamentarischen Budgetrechtes auf die Treuhandanstalt als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechtes nicht anwendbar sind.[Fußnote 32] Zum anderen hatte die Ausschußmehrheit im ersten Halbjahr nach der Vereinigung eine eher affirmative Haltung eingenommen. Dies mag damit zusammenhängen, daß Abgeordnete der Gruppe "Bündnis90/Die Grünen" sehr früh in parlamentarischen Stellungnahmen, Anfragen, Entschließungsanträgen und im Juni 1991 sogar mit dem Entwurf eines neuen Treuhandgesetzes massive Kritik äußerten. Ihren Forderungen nach einer Organisationsreform, mehr parlamentarische Kontrollen, Entschuldung und Sanierung von Treuhandbetrieben wollte der Ausschuß keinen Vorschub leisten - zumal er angesichts seiner schwachen Rechtsposition auf das Einvernehmen der Treuhandanstalt angewiesen war.

Mit dem Treuhandkreditaufnahmegesetz vom 3. Juli 1992 wurde der Kreditrahmen der Treuhandanstalt auf 30 Milliarden DM je Wirtschaftsjahr begrenzt und für seine Ausschöpfung in den Jahren 1993 und 1994 die Einwilligung des Haushaltausschußes vorgeschrieben. Die parlamentarische Kontrolle der Neuverschuldung bewirkte zwar noch keine präventive Einwirkungsmöglichkeit. Gleichwohl hat die Treuhandanstalt ihre Unterrichtung des Ausschusses daraufhin ausgeweitet - bis hin zu häufigen Ortsterminen in Berlin oder an Industriestandorten der neuen Länder. Im Februar 1993 wurde dann ein eigenständiger Treuhandausschuss des Bundestages geschaffen, der nun die ganze Breite der Treuhandtätigkeit abdeckt. Er wurde von der Treuhandanstalt über das operative Geschäft, Vertragskontrollen, Sanierungskonzepte, neue Privatisierungsansätze und über die Ausgabenentwicklung regelmäßig, freilich nicht immer wunschgemäß unterrichtet.

9. Informalisierung und pragmatischer Interessenausgleich

Die Arbeit der Treuhandanstalt bedeutete eine provisorischen Auslagerung wesentlicher Entscheidungen aus dem politischen Normalbetrieb. Davon zeugen nicht nur die Koordinationsgremien, wie sie im Umfeld von Treuhandanstalt, Bundeskanzleramt und neuen Ländern gewachsen sind[Fußnote 33], sondern auch die faktische Ausschaltung parlamentarischer Kontroll- und Eingriffsrechte. Darüberhinaus findet sich auf der operativen Ebene eine weitgehende Informalisierung der Aufgabenerledigung, die bei Interviews im Treuhand-Umfeld in Begriffen wie "Basar-Methoden", "Bürokraten als Partisanen" oder "Management by Chaos" deutlich werden.[Fußnote 34] Die Treuhandanstalt ist eine unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten fragwürdige Konstruktion. Als verselbständigte Verwaltungseinheit zur Erfüllung einer besonderen Aufgabe besaß sie gewisse Ähnlichkeiten mit den unabhängigen Verwaltungsbehörden im amerikanischen Verwaltungsaufbau. Wie diese wurde sie von einem kollegialen Leitungsgremium gesteuert, dessen Mitglieder von der Regierung berufen wurden. Anders als im amerikanischen Verwaltungssystem blieben aber die präventiven Eingriffsrechte des Parlaments minimal ausgebildet. Während dort jeweils mehrere Kongreßausschüsse weitgehende Kontrollbefugnisse und das Recht auf vollständige Information besitzen[Fußnote 35], werden in der deutschen Verwaltungstradition auch faktisch verselbständigte Behörden dem Arkanbereich der Regierung zugeordnet und damit der Aufsicht des Parlaments und der Öffentlichkeit weitgehend entzogen.

Die Kontrolle der Treuhandanstalt durch den Markt schied ebenfalls aus. Der Markt sollte durch ihre Tätigkeit ja erst in Gang gebracht werden. Weil zudem jede Unternehmensprivatisierung als Einzelfall behandelt wurde, blieben schließlich auch die Möglichkeiten hierarchischer Steuerung und Kontrolle begrenzt. Andererseits hat die Politisierung der Treuhandtätigkeit beständig zugenommen, besonders als aus vielfältigen Gründen das Ziel des schnellen industriellen Aufbaues nicht erreicht werden konnte. In dieser Situation kam es für die Treuhandanstalt darauf an, trotz vielfältiger ad-hoc herbeigeführter Anpassungsreaktionen in den informellen Netzwerken der Vereinigungspolitik, das Ziel der raschen Privatisierung nicht aus dem Auge zu verlieren. Entgegen allfälliger Widrigkeiten hat sie dieses Ziel auch weitgehend erreicht.

Die Frage von Autonomie und Außensteuerung wird in den "amtlichen" Selbstdarstellungen der Treuhandanstalt nicht angesprochen, bzw. in ein harmonisches Bild aufgelöst: "Alle Entscheidungen der Treuhand werden letztlich von den gesellschaftlich relevanten Gruppen in unserem Land getragen, denn im Treuhand-Verwaltungsrat sitzen neben den Vertretern der neuen Länder die der Gewerkschaften und der Wirtschaft".[Fußnote 36] In den hier angesprochenen relevanten Gruppen ist tatsächlich ein weitgehender Grundkonsens über die rasche Privatisierung festzustellen, der von Konflikten im Einzelfall nicht nachhaltig getrübt wurde.

Tatsächlich war die "Politik" der THA das Ergebnis von Interessenausgleich - sei es durch Gespräche, implizite Kompromisse, Verhandlungen, Vereinbarungen oder Verträge, und zwar auf allen Ebenen der Treuhandorganisation. Im Aggregat erscheinen die zahlreichen wechselseitigen Anpassungsschritte als ein "Durchwursteln", dessen Verlauf und Ergebnis von keinem einzelnen Akteur im Ganzen übersehen oder gesteuert werden konnte, auch nicht von der Bundesregierung. Ohne flexible Ausweichreaktionen an der Peripherie der Aufgabenerledigung wäre die unveränderte Übertragung des bundesrepublikanischen Regierungssystems auf die neuen Bundesländer nicht möglich gewesen. Wo die Institutionen und mit ihnen transferierten Konzepte keine zufriedenstellenden Problemlösungen bieten konnten, agierten Behörden, Verbände, Aufsichtsräte, Betriebsräte und zahlreiche Koordinationsgremien weitgehend pragmatisch.[Fußnote 37]

Eine gewisse Normalität des Verwaltungsbetriebes kehrte erst ein, als zum 1. Januar 1995 die Treuhandanstalt in die "Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben" (BVS) überging und einige ihrer früheren Aufgaben weiteren Nachfolgeorganisationen (darunter: Beteiligungsmanagement Gesellschaft, Treuhand Liegenschaftsgesellschaft, Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen) übertragen wurden. Zugleich wurde die Finanzierung verbleibender Aufgaben - Vertragsmanagement, die Auflösung weiterer 3500 Firmen, Abwicklung von Kernkraftwerken, Regelung offener Vermögensfragen etc. - in den Bundeshaushalt eingegliedert.


Fußnoten

29. Economist 7861 v. 30. April 1994, 76.

30. Czada, Roland: Die Treuhandanstalt im Umfeld von Politik und Verbänden, in: Fischer, Wolfram, Herbert Hax, Hans-Karl Schneider (Hrsg.), Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen, Berlin: Akademie-Verlag, 148-173 (153)

31. Spoerr, Wolfgang: Treuhandanstalt und Treuhandunternehmen zwischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Gesellschaftsrecht, Köln 1993, 15

32. Wolfgang: Treuhandanstalt und Treuhandunternehmen zwischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Gesellschaftsrecht, Köln 1993, 15

33. Czada (n 14) sowie: Czada, Roland: Die Treuhandanstalt im politischen System der Bundesrepublik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43-44/1994, 31-42.

34. Interview Dr. Martin Keil am 23.2.1993, Wolf Schöde am 17.6.1992, Dr. Hartmut Maaßen am 17.6.1992.

35. Jede amerikanische Verwaltungsbehörde muß im Rahmen der Vorschriften des § 553 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (Administrative Procedure Act, APA) Regeln darüber aufstellen, wie sie die Öffentlichkeit in ihre Tätigkeit einbezieht. Dabei ist Öffentlichkeit sogar für Verhandlungen der Beratungsgremien vorgesehen. In Deutschland gilt dagegen für die Beiräte bei den Bundesministerien und oberen Bundesbehörden ebenso wie in England und den meisten kontinentaleuropäischen Staaten das Prinzip der Nichtöffentlichkeit, nicht zuletzt um die Offenheit der Diskussionen zu gewährleisten und die Fiktion neutraler Fachberatung aufrechtzuerhalten.

36. Intervie mit Birgit Breuel in: Wirtschaftskurier Februar 1993, 3.

37. vgl. Czada, Roland: "Üblichkeitsprinzip" und situativer Handlungsdruck, in: König, Klaus/ Schuppert, Gunnar Folke (Hrsg.): Vermögenszuordnung und Aufgabenzuschnitt der öffentlichen Verwaltung in den neuen Bundesländern, Baden-Baden 1994, 153-174.

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