Institutionelle Theorien der Politikaus: Nohlen/Schultze (Hrsg.): Lexikon der Politik, Bd.I, München: Beck-Verlag 1995, S. 2o5-213; Wiederabdruck in: Lexikon der Politikwissenschaft. Theorien - Methoden - Begriffe. 2 Bände. München: Beck 2002, 2005, 2006. Institutionen sind verhaltensregulierende und Erwartungssicherheit erzeugende soziale Regelsysteme. Der politische Institutionenbegriff setzt dort ein, wo die Befriedigung sozialer Bedürfnisse bzw. die Herstellung und Verteilung öffentlicher Güter mit Interessengegensätzen einhergeht, die nicht allein durch naturwüchsige Ordnungen bewältigt werden. Dies unterscheidet die politische Institutionalisierung von Vorgängen kultureller Gemeinschaftsbildung, in denen sich individuelle Handlungsversuche überwiegend unreflektiert, in der Form sozialevolutorischer Prozesse, zu Umgangsregeln verfestigen (Schelsky 1970: 13). Politisch sind Institutionen namentlich dann, wenn sie der autoritativen Konfliktregelung durch eigens dafür konstruierte Normen dienen sowie einen Apparat mit geeignetem Personal zu deren Durchsetzung bereithalten. Darunter sind politische Verfassungen zu verstehen, sodann das gesamte System staatlich verbürgter Ordnung, die Gesetze und ihre Regelungsinhalte sowie der organisatorische Aufbau von Regierung und Verwaltung. Diese Einrichtungen sind aus Machtkämpfen erwachsen und zugleich auf allgemeine Zustimmung angewiesen. Politische Regelwerke können nämlich nur bestehen, soweit sie befolgt werden ohne daß die anfallenden Erzwingungskosten ihren Nutzen aufzehren. Das Einverständnis, das einer politischen Ordnung die Chance zwangloser Befolgung sichert, kann allerdings auf Dauer nur erreicht werden, wenn ihm ein kommunikativ geteiltes, normatives Motiv anhaftet. Dies verweist auf die Notwendigkeit von Diskursen über politische Institutionen, in denen sich Interessen mit Ideen zu einer "gemischten Geltungsbasis des Einverständnisses" (Habermas 1992: 93) verbinden können. Politische Institutionen erteilen den Mitgliedern einer Gesellschaft Rechte und Pflichten. Ferner konstituieren und legitimieren sie administrative Akteure, indem sie ihnen die zur Erfüllung bestimmter Aufgaben notwendige Autorität, Deutungsmuster, Verhaltensregeln und soziale Bindungen zuweisen, von denen wiederum das zweckgerichtete, auch informelle politische Handeln geprägt wird. Dies verweist auf eine doppelte Fragestellung: Wie läßt sich die Existenz politischer Institutionen normativ und pragmatisch-zweckrational begründen, und wie beeinflussen sie das politische Handeln bzw. die Ergebnisse der Politik? Die Antwort neuzeitlicher Institutionentheorien auf diese Fragen ist maßgeblich davon bestimmt, wie sie das Verhältnis von Individuum und Institution fassen, und welchen Stellenwert sie dabei individuellen Interessen und kollektiven Ideen und Leitbildern zumessen. I. Die Emanzipation des institutionellen Denkens von religiösen und naturrechtlichen Denksystemen beginnt im 17. Jh. mit Thomas Hobbes anethischem Institutionalismus (vgl. Mandt 1989, 74). Politische Ordnung dient hier dem einen Zweck, den "Krieg aller gegen alle" auszuschalten. Also verlangt das gemeinsame Interesse an der Begrenzung sozial destruktiver Triebe die vertragsförmige Unterwerfung der Gesellschaft unter eine zentralisierte politische Herrschaft. Dieses Postulat gilt auch dort, wo Institutionen individuelle Leidenschaften nicht nur bändigen, sondern gemeinschaftliches Handeln aktiv fördern sollen. Der kompensatorische Institutionalismus der Aufklärung zielt "nicht alleine - wie der anethische - auf die Verringerung eines summum malum des Bürgerkrieges, sondern darüber hinaus ... auf politischen und sozialen Wandel im Sinne einer Mehrung von innerem und äußerem Frieden, der Chance individueller Freiheit und sozialer Gerechtigkeit" (Mandt 1989, 75). Aus der Gegenüberstellung wird ersichtlich, wie stark die Theorie politischer Institutionen mit anthropologischen Prämissen verknüpft ist. Während der anethische und kompensatorische Institutionalismus den Staat als Zwangsanstalt betrachten - zum einen der Zähmung destruktiver Leidenschaften, zum anderen der Höherbildung des Menschen dienend -, findet sich seit der Mitte des 18. Jh., beginnend mit der schottischen Moralphilosphie eines David Hume und Adam Smith eine Vorstellung gesellschaftlicher Ordnung, die von der Fiktion des Unterwerfungsvertrages wegführt. Sympathie und Nützlichkeit erscheinen hier als individuelle Handlungs maximen, die gesellschaftliche Ordnung ohne Rückgriff auf Kategorien kollektiver Vernunft begründen können. Adam Smith entdeckt, daß Eigennutz nicht notwendig andere einschränkt und zu bezähmen wäre, sondern dem Nutzen aller dienen kann. Der Ansatz verweist auf ein "Regime der Interessen" (Hirschman 1977, 137), in dem Erwartungssicherheit und Beständigkeit des Handelns statt durch reinen Zwang oder moralische Vernunft durch eigennützige Kalkulation bewirkt wird. Der von der schottischen Moralphilosophie ausgehende Utilitarismus (vgl. Bentham 1977), läßt erstmals auch die Möglichkeit erkennen, politische Institutionen im Interesse einer entstehenden, mit staatsgerichteten Abwehrrechten ausgestatteten bürgerlichen Gesellschaft intern zu differenzieren und fortwährend zu rationalisieren (vgl. Bermbach 1989, 61). Die klassischen Vertragstheorien bis hin zum utilitaristischen und bürgerlich-liberalen Staatsverständnis behandeln politische Institutionen als Ausdruck einer in unterschiedlicher Weise gesicherten Selbstbindung - also rein instrumentell. Begreift man dagegen den Gesellschaftsvertrag wie Edmund Burke (1887: 359) als "eine Partnerschaft nicht nur zwischen den Lebenden, sondern zwischen ihnen und den Toten und denen, die noch geboren werden", dann erhalten Institutionen ein Eigenleben, das über die ordnende oder fördernde Funktion individueller Handlungsregulierung hinaus eine selbstständige historische Antriebeskraft entfaltet. Burke gilt als Begründer eines organischen Institutionalismus, der namentlich in der deutschen Rechts und Staatswissenschaft rezipiert und weiterentwickelt wurde. Mit Justus Möser (1976) und Adam Müller (1810) zählt er zu den frühen Vorläufern der historischen Schule, die soziale Ordnung weder aus einer Naturrechtsfiktion noch aus menschlicher Vernunft erklärt, sondern als ein Prozess organischen Wachstums (vgl. Braune 1917). Die folgenreiche, auf Burke zurückgehende Kritik an utilitaristischen Vertragstheorien enthält - wie der kulturantropologische Institutionenbegriff (A. Gehlen, H. Schelsky) - ein überindividuelles und zugleich konservatives Moment, das den autonom gedachten Institutionen höhere moralische Vernunft und Stabilität zubilligt als den von Unstetigkeit getriebenen Subjekten. II. Die Ambivalenz politischer Ordnungen, die - hergebracht oder konstruiert - unheilvollen Zwang ebenso wie segensreiche Führung bewirken können, hat seit der französischen Revolution (1789) die europäische Politik geprägt. Im Widerstreit von Revolution und Restauration hatte das Argument für eine Befriedung der Gesellschaft durch institutionelle Bindung einen oft schweren Stand. Vor allem in Ländern, die heftig umkämpfte und daher labile politische Verfassungen aufwiesen, stand die Institutionenkritik hoch im Kurs. Dies hatte nicht zuletzt kulturhistorische Gründe. So wurde der Kontrast zwischen romantischen Gemeinschaftsideen und der sozialen Kälte institutioneller Apparate namentlich der modernen Massendemokratie besonders in Deutschland ausdauernd und mit verhängnisvoller Konsequenz gepflegt. Betrachtet man Institutionen als notwendig gewordene "Krücken", um sich auf diese Weise "entlastet" auf der Bahn des Lebens überhaupt noch fortbewegen zu können (Rousseau 1971, 272), so läßt sich daraus leicht ein rückwärtsgewandter, antiinstitutioneller Affekt ableiten - zumal die Säkularisierung und Rationalisierung von Ordnungen mit einer wachsenden Entfremdung von Individuum und Institution einhergeht. Die politische Theorie des deutschen Idealismus und der Romantik versuchte diese Entwicklung durch die institutionelle Fundierung sozialmoralischer Beziehungen aufzufangen. Der Korporatismus von Fichte, Müller und Hegel (Harada 1989) füllt die Lücke zwischen einer Gesellschaft der Individuen und der zur Befriedung ihrer Beziehungen eingerichteten Regierungsgewalt durch semi-autonome intermediäre Institutionen der Gemeinschaftsbildung, auf denen der Staat als Verkörperung des allgemeinen Interesses aufbaut. Institutionelle Stabilisierung angesichts der Gefahr revolutionärer Umwälzungen ist die eine - konservative - Seite solcher auf mittelalterliche Ordnungsvorstellungen zurückgehenden Konzepte; der Schutz der Handwerker, Manufaktur- und Industriearbeiter gegen kommerzielle Instabilität und soziale Entwurzelung das andere - humanistische - Anliegen. Der Hinweis auf den Zwiespalt politischer Institutionen, Freiheit zu garantieren und sie zugleich einzuschränken, findet sich in der neueren politischen Theorie selbst dort, wo Institutionen eine tragende Funktion für gesellschaftlichen Fortschritt und die Entwicklung moderner Staatlichkeit zukommt. Max Weber erwartet von der Rationalisierung der Herrschaft zugleich ein kommendes bürokratisches "Gehäuse der Hörigkeit" und Carl Schmitt stellt im politischen Ausnahmefall die institutionell entschränkte Herrschaft über jede geltende Legalordnung. Die radikale politische Institutionenkritik des 19. und 20. Jhs. ist libertär-anarchistisch, wo sie Institutionalisierung, auch wenn diese erzieherisch angelegt ist, als Opfergang des Subjekts begreift. Und sie tritt mit einem revolutionären Anspruch auf, wo sie institutionelle Politik als Hindernis für rasche Umwälzungen betrachtet. Diese Kritik mündete schließlich in eine Form der Institutionenverachtung, wie sie im Faschismus und Realsozialismus Wirklichkeit geworden ist. Hier werden politische Institutionen zu Instrumenten des Machterhaltes, die sich aus der strategischen Vorteilssuche politischer Eliten selbst reproduzieren, ohne das administrative Regelsystem an eine rechtssetzende kommunikative Macht zu binden (vgl. Habermas 1992: 187). Im faschistischen Führerprinzip und im Personenkult des realen Sozialismus wird zudem die institutionelle Wendung des Charismas, die nach Max Weber (1972, 670f.) den Übergang von persönlichen Herrschaftsformen zur legalen Herrschaft kennzeichnet, auf eigentümliche Weise zurückgenommen. Die "Degradierung der politischen Institutionen im Marxismus" (Euchner 1990) und die Beugung der Rechtsstaatlichkeit im europäischen Faschismus haben die Rückbesinnung auf ein normatives republikanisch-demokratisches Institutionenverständnis in der westlichen Welt befördert. Der Politikwissenschaft der fünfziger und sechziger Jahre kam es darauf an, die institutionellen Prinzipien der Demokratie (v.a. Repräsentation, Gewaltenteilung, Informations- und Vereinigungsfreiheit) wachzurufen und zu bewahren sowie den Prozeß der Politik zu dechiffrieren, um ihn im Lichte demokratischer und rechtstaatlicher Normen beurteilen zu können. So unterscheidet Dolf Sternberger (1984, 387) die institutionelle politische Konfliktregelung, die er "Verfassungsfrieden" nennt, von einem "dämonologischen Frieden", in dem der Streit unterdrückt wird, und von einem "eschatologischen Frieden", der die Erlösung vom Streit verspricht - und er läßt keinen Zweifel, daß nur der institutionelle Friede der Verfassung ein "politologischer Friede" ist. Wenn so das Institutionenproblem auf eine Theorie des Friedens bzw. gewaltloser Konfliktbewältigung hinausläuft, stellt sich umso mehr die Frage, wie politische Institutionen beschaffen sein sollen, damit sie für einen gerechten Interessenausgleich bürgen. III. Die institutionentheoretische Debatte ist heute stark vom ökonomischen Denken beeinflusst (einen Überblick gibt Lehner 1990). Schon in den 50er Jahren etablierte sich mit der "Ökonomischen Theorie der Demokratie" (Downs 1968) ein Ansatz, in dem Politikergebnisse als institutionell verarbeitete Folgen individueller Rationalwahlentscheidungen begriffen werden. Wie alle ökonomischen Institutionentheorien bewegt sich auch diese im Spannungsfeld von individueller und kollektiver Rationalität. Ihr Grundproblem besteht darin, daß jeder individuell rationale Akteur an der Verteilung eines Kuchens stärker interessiert ist als an dessen Mehrung, und daß sich zudem keine Verteilungsregel findet, die alle Beteiligten gleichermaßen zufriedenstellt (Buchanan/Tullok 1962). Eine Folgerung daraus lautet, daß die Herstellung und Verteilung öffentlicher Güter regulativen Zwang, mithin staatliche Organisation erfordert. Nur wenn private Verfügungsrechte allgemein anerkannt wären, alle Beteiligten volle Information hätten und sich ohne jeden Aufwand - transaktionskostenfrei - einigen könnten, ließen sich Konflikte, die aus der wechselseitigen Beeinträchtigung individuellen Handelns (externe Effekte) herrühren, vollständig auf dem Tauschweg bereinigen (Coase 1960). Institutionen können im Anschluß an Coase als Vorkehrungen zur Minimierung von Transaktionskosten verstanden werden, die realistischerweise mit jedem Austausch verbunden sind. Sie resultieren aus dem Risiko der Übervorteilung, gegen die sich rationale Akteure durch Ordnungen - Verhandlungen, Verträge und jegliche Organisation - absichern (Williamson 1990). Transaktionskosten sind insofern Kosten der Nutzung von Institutionen. Sozialevolutorisch wären solche Institutionen am überlebensfähigsten, die mit geringstem Aufwand Opportunismus ausschalten. So erklärt Douglass North (1988) die Herausbildung des modernen Wirtschaftsstaates aus dem Vermögen, die mit einer kapitalistischen Tauschwirtschaft verbundenen Einigungs-, Kontroll und Erzwingungskosten zu minimieren. Dazu können auch sozio-kulturelle Kooperationsregeln beitragen, wie sie zum Beispiel die politischen Ökonomie Japans auszeichnen. Die Ansätze der public-choice Schule und der Transaktionskostenökonomik sind auf die Lösung wohlfahrtstheoretischer Effizienzprobleme ausgerichtet. Die Herstellung und Ausführung kollektiv verbindlicher Entscheidungen in politischen Herrschaftsverhältnissen kann allerdings so nicht ursächlich erklärt werden. Max Weber sieht den ökonomischen Ursprung politischen Gemeinschaftshandeln nicht im Effizienzdenken, sondern im Bemühen um eine Regulierung des Wettbewerbs. Dabei bilden gemeinsam handelnde Konkurrenten eine Interessengemeinschaft gegenüber Außenstehenden. Aus diesem Vorgang der sozialen Schließung entstehen rationale Ordnungen, "zu deren Durchführung, eventuell mit Gewalt, sich bestimmte Personen ein für allemal als 'Organe' bereithalten" (Weber 1972, 201). Der mit Institutionalisierung verbundene ökonomische Nutzen - "Ersparnisse an Reibung", höhere Berechenbarkeit und "Beschleunigung des Reaktionstempos" (ebenda, 662) - wäre dann bloß ein Nebenprodukt monopolistischer Vermachtung (Czada 1991: 258f., 266f.). Politische Konfliktregelung betrifft nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Werte; und sie ist von Machtabhängigkeit, ideologischen Diskursen, Informationsasymmetrien und sozialen Bindungen begleitet. Terry Moe (1990, 221, 227) nennt zwei Sachverhalte, die den Zugriff ökonomischer Erklärungsansätze auf das politische Handeln besonders erschweren: 1. Das legitime Recht einer politischen Autorität, Werte gegen den Willen Betroffener umzuverteilen, ist genuin politisch und bleibt der Wirtschaftswelt freiwilliger Tauschverhältnisse prinzipiell fremd. 2. Die Logiken politischer und ökonomischer Institutionalisierung sind fundamental verschieden, weil ökonomische Ordnungen auf politischer Herrschaft gründen, während politische Ordnungen sich nicht in gleicher Weise extern verbürgen lassen, sondern im Rahmen vorhandener Institutionen stets umkämpft sind und für Gestaltung offen bleiben (Knight 1992: 40ff.). Politische Institutionen sind mit der Konstitution und Ausübung politischer Herrschaft untrennbar verknüpft. Ist das "Verständnis für die Distinktheit politischer Herrschaft nicht oder nicht mehr vorhanden, wird es aussichtslos, die Frage nach spezifisch politischen Institutionen anzugehen" (Mandt 1989, 76), dann wäre jede Institution politisch, sofern sie nur kollektives Handeln ermöglicht. Auch eine ökonomische Theorie politischer Institutionen wird insofern an der von Max Weber getroffenen Unterscheidung des Politischen als einer Sphäre legitimer Zwangsgewalt und des Strebens nach Machtanteil nicht vorbeikommen. Selbst ein kommunikativ begründeter Institutionenkonsens kann Machtunterschiede nicht leugnen, sondern bloß darauf hinwirken, daß sie die Verwirklichung der für eine Gesellschaft als konstitutiv erachteten Werte befördern oder zumindest nicht beschädigen (vgl. Habermas 1992: 186f.). IV. Die politikwissenschaftliche Institutionentheorie steht vor der Frage, wieweit es ihr gelingen kann, über abstrakte Einsichten hinaus immer komplizierter werdende politische Prozesse zu erklären. Der Institutionalismus der älteren Regierungslehre war noch ganz auf formale Regelsysteme - Verfassungen, Geschäftsordnungen etc. - festgelegt, die ehedem den Großteil politischen Handelns erfassen konnten. Wachstum und Vielfalt öffentlicher Aufgaben bewirkten indessen die funktionale Spezialisierung, innere Segmentierung und äußere Entgrenzung der Staatsorganisation (vgl. Rueschemeyer/ Evans 1986). Der neue organisationstheoretische Institutionalismus skizziert den Staat als "ein Konglomerat halbfeudaler, lose verbundener Organisationen, von denen jede ein substantielles Eigenleben führt, und die miteinander und mit gesellschaftlichen Gruppen interagieren" (Olsen 1991; 96). Die Formalstruktur der Politik wird ergänzt durch informelles Regieren in vernetzten Entscheidungsstrukturen, wobei die verfassungsmäßige Ordnung in erster Linie als eine Gelegenheitsstruktur für Interessenpolitik auftritt. Dies ist aus dem Blickwinkel des akteurbezogenen Institutionalismus nicht weiter verwunderlich. Jede Form der Institutionalisierung kann letztlich nur einen Korridor schaffen, der Spielräume für die strategische Interaktion der Individuen bereithält. Dies gilt vorzugsweise für politische Institutionen, weil sie in besonderem Maße umkämpft und gestaltbar sind. Während andere Ordnungen entweder durch Gewohnheit befestigt sind oder auf politisch begründete Garantien, etwa die Eigentumsgarantie, rekurrieren können, bleibt der Politik nur die Möglichkeit der Selbstbindung bzw. Eigenstabilisierung. Diese erreicht sie in der Realität auf drei Wegen: 1. durch eine demokratische Verfassung, die an das Prinzip unveräußerlicher Menschenrechte gebunden bleibt; 2. durch ein intern differenziertes Kontroll- und Abstützungsgefüge, das mit dem Begriff der Gewaltenteilung nicht mehr adäquat erfasst ist; 3. durch äußere Verpflichtung im Umgang mit anderen Staaten, insbesondere durch Einbindung in internationale Regime. Gegenwärtige staatliche Ordnung bildet jenseits ihrer normativen Grundlagen ein verschachteltes Mehrebenensystem, das die Existenz mächtiger Nebenregierungen, Formen politischer Verbändebeteiligung und internationale Institutionen einschließt. Der von Hobbes skizzierte, auf innere Befriedung gerichtete, hierarchische Einheitsstaat, hat im inneren ebenso wie nach außen Souveränität verloren. Dies ging einher mit Institutionenwachstum, das im binnenstaatlichen Bereich und in den internationalen Beziehungen seit dem zweiten Weltkrieg verstärkt auftritt (Krasner 1982). Die ausschließlich institutionelle Erklärung von Politik, etwa aus parlamentarischen Diskursen, aus dem Parteienwettbewerb oder aus einer verfassungsmäßigen Entscheidungsprozedur ist angesichts dieser Ausdifferenzierung nahezu aussichtslos geworden. Zwei Auswege bieten sich an: 1. eine politische Institutionentheorie, die an einer "neuen Architektur des Staates" (Grande 1993) ansetzt, 2. ein akteurtheoretisch fundierter Institutionalismus, der den realistischerweise über den Staat hinausgehenden Rahmen politischer Interaktion einschliesst. Der erste Ansatz würde die Politikwissenschaft an die Organisationstheorie heranführen und vor allem die Grenzen rationalen Wahlhandelns betonen (Olsen 1991). Er entspricht einem neuen Institutionalismus, der die Logik des institutionell angemessenen Handelns "wiederentdeckt" (March/ Olsen 1989) und den Eigenwert institutioneller Arrangements hervorhebt, insbesondere ihre Funktion, politische Akteure durch die Zuweisung von Aufgaben, Status, Ressourcen und Orientierungen zu konstituieren. Der zweite, unter den Begriffen "Politische Ökonomie der Institutionen" (Alt/ Shepsle 1990) bzw. "Institutionenökonomik" (vgl. North 1990) firmierende Ansatz betont die Maximierungslogik kalkulatorischen, folgenorientierten Handelns. Es ist nicht zu bestreiten, daß hieraus erklärungsmächtige Theorien entstanden sind. Zu nennen wären etwa ökonomische Modelle des Parteienwettbewerbs und politischer Konjunkturzyklen. Nicht zu übersehen ist aber auch ein Mißverhältnis von methodischer Strenge einerseits und praktischer Relevanz andererseits. Die Prämissenstruktur formaler Modelle verhindert nicht selten eine Rückbindung an die empirische Forschung. Gleichwohl läßt sich das Forschungsprogramm eines akteurbezogenen Institutionalismus auch unter weniger strengen Annahmen ausführen (Scharpf 1994). Es besagt dann vor allem, daß Institutionen nicht direkt den Gang der Politik bestimmen, sondern auf die Interaktion politischer Akteure einwirken. Der Unterschied zum neuen Institutionalismus von March und Olsen (1989) besteht wesentlich darin, daß dieser, weil er von begrenzter Rationalität (bounded rationality) ausgeht, die institutionelle Handlungssteuerung, vor allem auch in der Form habitueller Regelbefolgung, als Normalfall annimmt, während im akteurbezogenen Institutionalismus jede Regel für strategisches Handeln offen bleibt und zudem als Handlungsressource betrachtet wird - zum Beispiel eröffnet das allgemeine Wahlrecht den Bürgern, ebenso wie etwa die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers dem Regierungschef, fest umgrenzte Handlungsmöglichkeiten, die sie gleichwohl auf vielfältige Art strategisch nutzen können. Hierin wird das kennzeichnende Merkmal von Institutionen, durch Beschränkung Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, deutlich. In diesem Sinne können politisch-institutionelle Zwänge eine Investition in Freiheit darstellen, die pareto-superiore Wohlfahrtsgewinne ermöglicht (Pies 1993: 300). Solcher Nutzen dient nicht nur der Gesamtgesellschaft, sondern auch jedem Einzelnen und darf deshalb auf breite Zustimmung rechnen. 1. Primärliteratur Bentham, J. 1966: Prinzipien der Gesetzgebung, Rugell (Nachdruck v. 1833). Buchanan, J.M., Tullok, G. 1962: The Calculus of Consent, Ann Arbor, Mich. Burke, E. 1887: The Works of the Right Honourable Edmund Burke, Bd. III, Reflections on the Revolution in France 1790. London. (Nachdruck 1975, Hildesheim, New York) (deutsch: Betrachtungen über die Französische Revolution, Frankfurt/M 1995). Coase, R.H. 1969: The Problem of Social Cost, in: Journal of Law and Economics 3; 1-44. 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The
state
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